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Eifel-Träume

Eifel-Träume

Titel: Eifel-Träume
Autoren: Jacques Berndorf
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ERSTES KAPITEL
    Das Leben floss langsam und ganz unaufgeregt dahin.
    Ich hockte auf der Terrasse und blätterte in einem Magazin, was in diesem Sommer wahrlich kein Genuss war. Chaos und Ängste um die Terrorismusbekämpfung, das Unheil von Madrid, Brutalität in Fernost, Hinrichtungen im Nahen Osten, mein schönes Deutschland im Reformstau. Die Opposition hierzulande behauptete, der Kanzler sei ein Banause, während der Kanzler behauptete, die Opposition sei ein breitflächiger Brei aus Durchschnittlichen. Dieser Kanzler hat, so denke ich, einen miesen Job: Macht er etwas falsch, schreit die Kritik, macht er etwas richtig, kreischt die Kritik. Stolpe, dieser Maut-Mann, berief zum zehnten Mal eine ultimative Konferenz mit der Industrie ein und rechnete ganz ernsthaft damit, ernst genommen zu werden. Ein Industriemanager fühlte sich von den Medien übel verfolgt, weil er für das bloße Ausräumen seines Schreibtisches die ungefähre Summe von dreißig Millionen Euro eingestrichen hatte. Und er war der festen Überzeugung, er habe das durchaus verdient, und eigentlich sei es sogar zu wenig gewesen. Deutschland – die Lachnummer.
    Gott sei Dank kam mein Satchmo vorbei und jaulte herzzerreißend, weil er wie üblich dicht vorm Hungerkollaps stand. Also marschierte ich in die Küche und klatschte etwas Katzenpampe auf einen Teller. Aber er fraß nicht. Stattdessen stellte er sich auf einen Brocken Vulkangestein und röhrte seinen Schmerz hinaus in die stille, sonnige Landschaft.
    Es war jetzt ein Vierteljahr her und er trauerte immer noch. Wenn ich ihm eine Schüssel mit seinem geliebten Industriefutter hinstellte, tapste er heran, schnupperte, wandte sich um und begann, nach Paul zu rufen. Er verhielt sich nach dem Motto: Komm endlich her, hier ist was zu fressen! Doch Paul kam nicht, Paul konnte gar nicht kommen. Irgendein unbekannter Autofahrer hatte ihn genau vor meiner Haustür erwischt. Paul hatte sich wohl noch mit letzter Kraft in die Rosen geflüchtet, die die Gemeinde unter die jungen Ahornstämme gepflanzt hat, und dort sein Leben ausgehaucht. Ich hatte mich schuldig gefühlt, wie wir uns immer schuldig fühlen, wenn uns Anvertraute plötzlich und scheinbar so grundlos gehen müssen. Neben dem Forsythienbusch hinter dem Haus hatte ich ihn begraben. Satchmo war nun allein und hatte wochenlang den ganzen Tag über nach dem Freund gerufen. Zuweilen war er wie ein Blitz quer über die Straße zu Rudi Latten gerast, als hätte er dort Pauls Schwanzspitze entdeckt. Es war ein richtiges Katzenelend und Satchmo beruhigte sich nur langsam, ging immer noch mindestens dreimal pro Tag durch das hohe Gras zur Gartenmauer, weil er von dort aus einen guten Überblick hatte. Kein Paul mehr, nirgendwo.
    »Suche nicht nach Paul«, sagte ich zum tausendsten Mal.
    »Das Leben war eine Sekunde lang gegen ihn.« Und zum tausendsten Mal sah er mich prüfend an und schien zu denken, dass die blöden Menschen von den größeren Zusammenhängen nicht die geringste Ahnung haben.
    Beachtlich und würdevoll fand ich, dass mein Hund Cisco sich über Satchmos Geheul nicht aufregte, sondern ganz still dalag und ihn beobachtete. Vielleicht, um zu verstehen, was sich in Satchmos Seele abspielte. Na ja, dämlicherweise suchen wir Menschen bei allen Tieren nach menschlichen Verhaltensmustern.
    Cisco ruhte weit entfernt unter dem großen roten Ginsterbusch und blinzelte träge. Nun entschied er sich, uns Gesellschaft zu leisten. Er trottete heran, legte seinen Kopf zwischen die Vorderpfoten und sah Satchmo beim Fressen zu. Er rührt Katzenfutter nicht an. Das ist unter seiner Würde.
    Am Teichrand stand eine prächtige violette Distel, sicherlich achtzig Zentimeter hoch und mit mehr als dreißig Blüten bestückt. Um sie herum tanzte ein Pärchen Kaisermantel, eine kleine, wunderschöne Orgie in hellem Orange mit schwarzen Flecken. In der Namensgebung waren die Leute vergangener Generationen besser gewesen als wir und ich fragte mich, wie man diesen Schmetterling wohl heute nennen würde. Wahrscheinlich Orange-Plus oder Yellow Brush oder vielleicht auch Believe-in-God, auf jeden Fall fantasielos und streng neudeutsch.
    Dann rief Emma an, ihre Stimme war munter und angriffslustig. »Weißt du eigentlich, dass Tante Anni schlecht dran ist?«
    »Nein, weiß ich nicht. Was fehlt ihr denn?«
    »Sie klingt nicht gut und vor allem: Sie liegt nur noch im Bett und will nicht aufstehen.«
    »Hat sie Fieber, einen Infekt oder so was? Soll ich
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