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Totensonntag: Ein Westfalen-Krimi (Westfalen-Krimis) (German Edition)

Totensonntag: Ein Westfalen-Krimi (Westfalen-Krimis) (German Edition)

Titel: Totensonntag: Ein Westfalen-Krimi (Westfalen-Krimis) (German Edition)
Autoren: Jürgen Reitemeier , Wolfram Tewes
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Prolog
    Die Glocke des nahegelegenen Domes schlug fünf Uhr morgens. Vor einer Stunde hatte ein feiner, eiskalter Sprühregen eingesetzt, der durch die Straßen und Gassen gepeitscht wurde von einem dieser unkalkulierbaren Novemberwinde, die urplötzlich da sind und alles durcheinanderwirbeln, um dann ebenso unvermittelt wieder einzuschlafen.
    Totensonntag stand bevor, das Wetter rüstete sich, diesem Ereignis den passenden trübsinnigen Rahmen zu verleihen. Weder die Uhrzeit noch das Wetter hätten erwarten lassen, dass eine junge Frau mit klackernden Absätzen durch eine der dunklen Straßen des Paderborner Riemekeviertels ging. Sie trug einen Regenmantel mit Kapuze, die sie unter dem Kinn zusammenhielt, und machte kurze, schnelle Schritte – mehr hätten ihre hochhackigen Schuhe auch nicht zugelassen.
    Als sie auf den Konrad-Martin-Platz kam, pfiff ihr der Wind noch heftiger um die Ohren. Links sah sie ein wenig einladendes Mehrfamilienhaus. Da musste die Frau wohnen, die sie besuchen wollte. Die vor einigen Tagen zu ihr gesagt hatte: Du kannst kommen, wann immer du Hilfe brauchst. Egal, ob früh oder spät.
    Die junge Frau wischte sich den Regen aus dem Gesicht, um besser sehen zu können. Zögernd ging sie auf die Betonfassade des Hauses zu. Der Platz wurde zu dieser Uhrzeit nicht mehr beleuchtet, und die dichten Regenwolken ließen kein Mondlicht hindurch. Es war so dunkel, dass sie die Namen auf dem großen Klingelschild an der Eingangstür nicht lesen konnte. Sie kramte in einer ihrer Manteltaschen, zog ein Feuerzeug heraus und zündete es an. Sorgfältig leuchtete sie die lange Reihe ab, doch den Namen, nach dem sie suchte, fand sie nicht. Enttäuscht ließ sie das Feuerzeug ausgehen. Dann trat sie ein paar Schritte zurück und betrachtete die Fassade des großen Hauses noch einmal prüfend. Dabei erkannte sie eine zweite Haustür, einige Meter von ihr entfernt. Vielleicht hatte sie dort mehr Glück.
    Während sie hinüberging, bemühte sie sich darum, leiser aufzutreten. Sie wollte auf gar keinen Fall Aufmerksamkeit erregen oder sogar gesehen werden. Das könnte für sie selbst, aber auch für die Frau, deren Hilfe sie suchte, gefährlich werden. Das war auch der Grund für diese ungewöhnliche Uhrzeit gewesen, denn jetzt war die Gefahr, bei ihrem Besuch gesehen zu werden, am geringsten.
    Wieder stand sie vor einer langen Reihe von Klingelschildern. Wieder knipste sie das Feuerzeug an. Diesmal entdeckte sie ganz unten den Namen, den sie gesucht hatte. Doch auf einmal, so kurz vor dem Ziel, wurde sie unsicher. Konnte sie wirklich diese Frau einfach so aus dem Schlaf klingeln? Sicher, sie hatte es ihr angeboten, aber war es auch ernst gemeint gewesen? Oft schon hatte man ihr angebliche Hilfe angeboten – und viel zu oft war am Ende nichts als Enttäuschung geblieben. Warum sollte es diesmal anders sein?
    Sie schluckte angestrengt. Um ihre Nerven zu beruhigen, wühlte sie eine Packung Zigaretten aus dem Mantel. Sie wollte eben erneut das Feuerzeug entzünden, als sie auf dem Platz Schritte hörte. Schwere Schritte. Männerschritte. Sie kamen schnell näher, wurden immer lauter.
    Die junge Frau drehte sich um, schrie vor Entsetzen auf, als sie sah, wer auf sie zukam, und wollte davonlaufen. Aber der breitschultrige Mann mit der schwarzen Lederjacke stand schon direkt vor ihr. Er presste ihr seine riesige, schwielige Hand auf den Mund, um ihre Schreie zu unterdrücken. Zu spät merkte sie, dass er damit gleichzeitig einen Wattebausch auf ihre Lippen drückte. Sie roch und schmeckte die übelriechende Flüssigkeit, mit der dieser Wattebausch getränkt worden war, und sie spürte, in zunehmender Hilflosigkeit, wie sich der dunkle, kalte Platz um sie herum drehte, immer schneller, immer schneller.

1
    Die Luft in dem kleinen Wohnzimmer war zum Schneiden. Den ganzen Tag über hatte niemand den Temperaturregler der Zentralheizung heruntergedreht. Walter Hermskötter seufzte erschöpft, aber zufrieden und knöpfte den obersten Knopf seines Hemdes auf. Die Idee, ein Fenster zu öffnen, kam ihm gar nicht. Schließlich war es Ende November, und draußen war es windig und rundum widerwärtig. Das feuchtkalte Herbstwetter war Gift für seine alten Knochen. Zum Glück konnte er einfach das Fenster schließen, die Heizung hochdrehen und seinem empfindsam gewordenen Körper die Illusion tropischer Wärme gönnen.
    Er nahm die Fernbedienung des Fernsehers in die Hand und brachte das Gerät wieder auf die Lautstärke, die
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