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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Autoren: Landolf Scherzer
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Puzzles fragen.
    Xing Feng ist vor 18 Jahren als Kind von Wanderarbeitern in Peking geboren und hier aufgewachsen. »Meine Eltern waren Bauern. Als sie in die Stadt kamen, wurden sie von den Unternehmern wie Sklaven behandelt. Es gab Millionen Bauern,die in Peking eine Arbeit suchten. Sie mussten jede Arbeit zu jeder Bedingung annehmen. Meine Mutter schaufelte Gräben, und mein Vater pflanzte Bäume. Sie hatten beide nichts gelernt. Sie fuhren einmal im Jahr zum Neujahrsfest nach Hause und brachten ihren Eltern Geschenke. Vor 5 Jahren kam der Bruder meines Vaters, ein ausgebildeter Maler, nach Peking. Er erhielt einen Job in einer Baufirma, die ihn, selbst als Wanderarbeiter, nach Tarif bezahlen und sogar Urlaub gewähren muss. Man kann uns heute, wo auch in China qualifizierte Arbeiter fehlen, nicht mehr alle wie Sklaven behandeln.«
    Xing Feng will in der Computerfabrik später als Techniker arbeiten. »Vielleicht gehen meine Eltern, wenn ich geheiratet habe, zurück in unser Dorf. Aber ich werde zeit meines Lebens in der Stadt leben, in der ich geboren bin. Ich habe wie viele andere Kinder hier nie auf dem Feld gearbeitet. Ich verstehe nichts vom Pflügen, Säen und Ernten. In unseren Dörfern werden in einigen Jahren nur noch die Alten leben. Aber weil sie zu alt sind, um Reis und Gemüse anzubauen, werden wir unsere Maschinen aus China in anderen Ländern dann gegen Nahrungsmittel eintauschen. Natürlich nicht nur, weil wir Jungen nicht mehr auf den Feldern arbeiten wollen, sondern auch, weil China nur knapp 7 Prozent der Weltackerfläche besitzt, aber 23 Prozent der Weltbevölkerung hier leben und ernährt werden müssen.«
    Auf dem letzten Blatt, das ich mir von Irina und Madame Zhou erklären lasse, ist nur ein halber Mensch zu sehen. Schuhe, Beine und Hose bis zur Hüfte. Brust und Kopf passen nicht mehr darauf.
    »Wei hat sich als Riese gemalt, Wei bedeutet der ›Große‹.«
    Der Text von Zhung Wei ist ein Brief an seine Eltern, die als Wanderarbeiter in Peking leben. Der 7-Jährige schreibt: »Ich soll Euch von allen hier danken. Das Geld, das Ihr geschickt habt, war sehr nützlich. Der Großvater konnte endlichin ein Krankenhaus der Stadt gebracht werden. Dort hat man seinen unbeweglichen Arm wieder beweglich gemacht. Der Onkel hat sich Ziegel kaufen können, um unser Hausdach zu reparieren. Ich danke Euch sehr, denn von dem Geld werden wir für mich auch Schulbücher kaufen.«
    Ich schaue die beiden Frauen nach der Lektüre wohl nicht gerade freudestrahlend an, denn Madame Zhou fragt, ob ich andere Berichte erwartet hätte.
    »Keine so unterschiedlichen. Ich dachte, dass ich nach der Lektüre sagen könnte: So leben die Wanderarbeiter in China.«
    »Nein, so viele verschiedene Geschichten, so viele verschiedene Antworten! Das ist China. Mit der Zeit werden Sie es verstehen.«
    Ich habe keine Zeit mehr. Und sage: »Schade, dass ich Ihre 99 Berichte erst heute lesen konnte. Vor drei Wochen hätten sie mir manche ergebnislosen Erkundungen erspart.«
    »Ja, Peking ist groß. Die sich treffen müssten, treffen sich hier nicht oft«, sagt Irina und überreicht mir eine kleine, für Kinder genähte Soldatenmütze mit dem Wappen der Roten Armee. »Das ist das Geschenk von Igor Kusnezow für Sie.«
    Ich bedanke mich und sage, dass ich sie an einen Enkel weitergeben werde. »Ich habe vier Töchter.«
    Madame Zhou schaut mich verwundert an. »Vier Mädchen und keinen Jungen?«
    Bevor ich gehe, möchte ich wissen, weshalb man sie »Madame Zhou« nennt.
    »Ein Wanderarbeiter, dem ich dreimal geholfen hatte, dass der Unternehmer den ausstehenden Lohn zahlt, sagte mir einmal: ›Frau Zhou, Sie sehen in Ihrem Kostüm, der weißen Bluse und den roten Schuhen wie die feinen Damen in Paris aus. Ich werde Sie deshalb Madame Zhou nennen!‹
    Der gute Mann war sein Leben lang niemals in Paris gewesen. Doch einmal hatte er sich – erzählte er mir triumphierend– im größten Pekinger Kino eine Eintrittskarte gekauft. Und in dem Film sah er die Damen von Paris.«

SPICKZETTEL (18)
    Mona W., Berufswunsch: Irgendetwas mit Sprachen oder Kunst
    Ich wünsche sehr, dass China in der Lage sein wird, eigene Fehler zu sehen und zu beseitigen. Zum Beispiel müsste die Bildung verbessert werden, denn es ist wahrhaftig eine Qual für die Kinder, die in engen Klassenräumen sitzen müssen oder für die Schule sehr viel Geld bezahlen müssen. Sie wollen sehr viel lernen, die Chinesen, auch an den Universitäten, aber die Bedingungen
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