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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Autoren: Landolf Scherzer
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sich zu verbeugen, wenn der Hausherr mit Gästen kommt … nicht auf den Fußboden zu spucken … zu schweigen, wenn sie nicht Englisch oder Deutsch sprechen kann.«
    Ich vermute, dass dieses zerfledderte Heft in Kolonialherrensprache wahrscheinlich schon uralt ist. Da holt Madame Zhou ein neues Buch aus dem Regal, auf dessen Umschlag vor einem blauen chinesischen Haus mit rotem Dach eine junge Chinesin mit weißer Schürze, weißem Häubchen und Besen steht.
    »Colleen Klingseisen, Heidi Katherman: Ayi Survival Guide, 2007«.
    Die Anweisungen der ausländischen Dienstherrinnen für die chinesischen Ayis sind 2007 höflicher formuliert: »Bitte ziehe saubere Kleidung an! Bitte stiehl nichts im Haus! Bitte ziehe Deine schmutzigen Schuhe im Haus aus! Bitte schrei nicht im Haus! Bitte wasche Dir vor der Arbeit die Haare und putze Deine Zähne!«
    Über Prügelstrafen bei Vergehen im Haus steht nichts darin. Die gab es nur zur Kolonialzeit.
    Madame Zhou: »Diese Anweisungen verfassen Ausländer, die empört darüber reden, dass China die Menschenrechte nicht einhält.«
    Sie schaut auf ihren Büro-Wecker, den ich bisher übersehen habe, und meint, dass sie ihre Lebensgeschichte kurz zu Ende erzählen muss.
    Bei der Arbeit als Ayi lernte sie einen chinesischen Elektriker und seine Frau kennen. Sie waren etwa zur gleichen Zeit wie Hua Zhou aus einem Dorf nach Peking gekommen. »Nur mit dem Unterschied, dass der Mann seine Liebste hier nicht alleingelassen hat. Aber inzwischen mussten sie ihren erst 5 Jahre alten Sohn alleinlassen. Sie haben ihn von Peking zurück in ihr Dorf gebracht, wo eine Tante das Kind versorgen wird. Der Elektriker fluchte: ›Nach 30 Jahren bekommen wir immer noch keine Hukou-Registrierung für Peking. Wir sind Aussätzige, haben kein Recht auf einen Kindergartenplatz, kein Recht auf die Schule für unseren Sohn, kein Recht auf medizinische Betreuung. Wir dürfen nur für die Pekinger arbeiten.‹
    Die beiden hatten lange überlegt, ob sie sich trotzdem ein Kind anschaffen. Dann war die Frau mit dem Sohn die ersten fünf Jahre zu Hause geblieben. Doch vor zwei Monaten mussten sie, wie gesagt, den Sohn ins Dorf bringen. Sie werden ihn, wenn sie das Geld zurücklegen können, vielleicht einmal im Jahr sehen. Es ist furchtbar, was in China mit uns Wanderarbeitern gemacht wird.«
    Sie stutzt in ihrer Rede. Und sagt, dass ich sie bitte nicht falsch zitieren soll.
    »Trotz alledem liebe ich dieses Land. Wir lieben China, und nur wir dürfen die Zustände hier kritisieren und verändern. Wir lassen China durch niemand von außerhalb zerstören.«
    Ich zeige auf das Mao-Bild neben der Fotografie ihrer Eltern.
    »Ja. Er gehört zu unserem neuen China. Als er 1949 die Volksrepublik ausrief, waren 80 Prozent der Chinesen Analphabeten. Als er starb, nur noch 10 Prozent. Ohne Mao Zedong wären wir heute vielleicht eine Kolonie von Japan oder Amerika.«
    Schließlich, und damit beendet sie die Geschichte ihres Lebens, hätte sie als Müllfrau in einem Compound drei Monate keinen Lohn erhalten. Als sie das Geld einforderte, kamenSchläger der Administration und verprügelten sie. »In dieser Zeit hielten die Götter plötzlich die Hand über mich. Ich bekam eine Stelle bei dem Rechtsberater Sun Shi. Er verdient als Jurist nicht viel. Aber er hat von seinem Bruder, einem reichen Unternehmer, soviel Geld erhalten, dass er sorglos leben kann. Und weil schon Konfuzius gesagt hat, dass derjenige Mensch, der sorglos lebt, sich um die Sorgen anderer kümmern muss, begann Herr Sun Shi, Wanderarbeiter kostenlos zu vertreten. Als er eine Frau brauchte, die ihm bei den Behörden half, sagte er: ›Hua, du hast nur eine Hand, mit der du zwar gut schreiben kannst, doch trotzdem bist du ein Krüppel. Aber Krüppel lernen immer am fleißigsten und am schnellsten. Also schicke ich dich auf eine Schule für Verwaltungsrecht.‹«
    Das ist vor 5 Jahren gewesen. Nach zwei Jahren kannte sie die Rechte der Wanderarbeiter, sprach bei Behörden vor, füllte Anträge aus. Sie hat sogar schon in einer Näherei – »nein, nicht die, in der ich gearbeitet hatte, sondern in einer Pekinger Jeans-Fabrik« – im Auftrag der um höhere Löhne streikenden Arbeiter mit dem Besitzer verhandelt. »Danach erhöhte der Unternehmer die Löhne um 80 Yuan im Monat.«
    Ich bin sehr froh, dass ich mit Hua Zhou sprechen kann. Der DPA-Korrespondent Andreas Landwehr hatte mir zuvor schon mit vielen Informationen zum Thema Wanderarbeiter geholfen. Ihre Zahl
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