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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Autoren: Landolf Scherzer
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Der Chemiekuchen
    ODER:
    Dang wo lai de shi hou, wo zhi zhi dao yi dian, dang wo zou de shi hou, wo ye mei zhi duo shao – Als ich angekommen war, wusste ich nur wenig, als ich wieder wegfuhr, wusste ich kaum mehr
    Polizisten, die Brust wie Eishockeyspieler mit Schutzwesten gepolstert und die MPi wie eine Mutter ihr Kind mit beiden Händen vor dem Bauch schaukelnd, umrunden langsam das Innere des Flughafengebäudes. Minutengenau kommen sie gleich den Prozessionsfiguren eines Kirchenspieles paarweise in Sicht und verschwinden dann behäbigen Schrittes wieder in der Menschenmenge. Jedes Mal wenn sie im Bistro, vor dem ich stehe, auftauchen, umringt ein hektischer Pulk von Journalisten die roboterstarr geradeaus schauenden Uniformierten und fotografiert sie von vorn, von hinten und von der Seite. Die meisten richten das Objektiv auf die Füße der im Entengang watschelnden Gesetzeshüter. Ich nehme an, dass es hier verboten ist, Polizisten so zu fotografieren, dass sie von jedermann identifiziert werden könnten.
    Nach dem dritten Rundgang schaut ein Fotograf, der mit seiner schief aufs Ohr gesetzten Baskenmütze sehr kunstverdächtig aussieht, suchend in die Umherstehenden, steuert dann zielgerichtet auf mich zu und fragt: »Sind Sie ein Deutscher?«
    Ich nicke. Er holt Stift und Notizblock aus der Jackentasche und möchte wissen, ob ich mich durch die MPi-tra genden Polizisten beschützt fühle.
    »Beschützt vor wem?«, frage ich.
    »Vor den Anschlägen der Al-Kaida-Terroristen!«
    Ich verstehe nicht.
    Er erklärt, dass Innenminister de Maizière heute Morgen vor solchen Anschlägen gewarnt hat.
    Ich erwidere, dass ich den Politikern hierzulande misstraueund der Innenminister die Terrorwarnung eventuell nur inszeniert hat, um von sozialen und anderen aktuellen Problemen abzulenken. Der für eine Berliner Zeitung schreibende Journalist meint, dass es bestimmt zu wenig bewaffnete Polizisten wären, um einen Angriff auf den Flughafen Tegel abzuwehren, notiert mein zustimmendes Nicken, freut sich, dass ich ihm Namen und Wohnort nenne und sogar erlaube, mich zu fotografieren, verabschiedet sich mit der Frage, wohin ich fliegen werde, dreht sich, bereits im Gehen, noch einmal um, weil ich »Peking« sage, drückt mir die Hand und wünscht Glück für die Reise in das Land, das sich anschicke, durch seinen Reichtum die Welt zu beherrschen. Und wahrscheinlich, meint er, gäbe es in China nicht einmal Terroristen, denn jeder Chinese werde auf Schritt und Tritt überwacht, die Presse unterdrückt …
    Bevor ich ihm entgegnen kann, dass es bestimmt sehr schwierig ist, 1,3 Milliarden Chinesen auf Schritt und Tritt zu überwachen, entschuldigt er sich. Er will auf dem Hauptbahnhof Fahrgäste zur neuen Sicherheitslage in Deutschland befragen und ruft nur noch einmal: »Alles Gute für Sie in China.«
    Der Mann, der auf der Fahrt zum Flughafen im Bus neben mir saß, ein 60er in braunen Cordhosen und grünem Lodenmantel, unter dem ein blauer Seidenschlips glänzte, sagte nicht »China«, sondern »Kina«. Er hatte mir erzählt, dass er vor 5 Jahren als Tourist in Kina war und die Kinesen ihn freundlich behandelt hatten. »Nur das Essen bei den Kinesen …«
    Weshalb er von Kina und Kinesen spreche, wollte ich wissen. Er meinte, dass Kina die in humanistisch gebildeten Kreisen übliche Bezeichnung für das Reich der Mitte sei. So hätte er das im Gymnasium in Nürnberg gelernt.
    Ich könne mich auf die Kinesen freuen. »Sie sind ein sehr gastfreundliches Volk. Aber viele besitzen nicht einmal genügend Geld, um sich ausreichend Essen zu kaufen. Kina hatzwar neue Hochhäuser und neue Fabriken, ist aber sonst sehr, sehr arm.«
    Ich hätte dem Mann zum Gegenbeweis meine ausgeschnittenen Zeitungsartikel zeigen können: Die Chinesische Bauernbank platziert im Sommer 2010 beim größten Börsengang der Geschichte Aktien für über 22 Milliarden Euro … Die chinesische Autofirma Zhejiang Geely kauft für 1,4 Milliarden Euro vom amerikanischen Autokonzern Ford den schwedischen Automobilhersteller Volvo … Die Volkswirtschaft Chinas wächst seit 1980 im Schnitt jährlich um 9,5 Prozent und verdrängt Japan vom zweiten Platz in der Welt … Ausländische Konzerne verkaufen auf dem anscheinend unersättlichen chinesischen Markt im ersten Halbjahr Millionen Autos (unter anderem Nissan eine halbe Million, Renault 850 000, VW 500 000) … Der chinesische Staatskonzern Cholco erwirbt beim britisch-australischen Baustoffkonzern Rio Tinto für
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