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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten
Autoren: Lee Langley
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Zeremonie stattfinden soll.«
    »Zeremonie?«
    »Die Trauung.«
    Als Sharpless Pinkerton die Stirn runzeln sah, fügte er hinzu: »Wie ich Ihnen vorhin erklärt habe, entspricht es den Gebräuchen …«
    »Was für Gebräuche? Ach so, verstehe – es ist ja eine Heirat.« Ein Anflug von Ungeduld. »Ich dachte nicht, dass es so etwas wie eine Zeremonie braucht …« Unausgesprochen: um eine Hure anzuheuern.
    »Sie betrachtet sich als Ihre zukünftige Ehefrau, Leutnant.« Zu Pinkertons Ärger begann Sharpless ihm alles noch einmal auseinanderzusetzen: Es seien gewisse Formalitäten zu beachten, das Mädchen sei keine Prostituierte.
    »Sie erwartet eine Zeremonie.«
    Pinkerton rannte die Zeit davon, eigentlich hätte er schon längst wieder an Bord seines Schiffes sein müssen, um die nächste Wache zu übernehmen. Er zog einen Flachmann aus seiner Gesäßtasche, schraubte ihn auf und goss einen Schluck Bourbon in die beiden zierlichen Porzellantassen, die neben ihm auf einem niedrigen Tischchen standen. Dann reichte er eine davon Cho-Cho und prostete ihr mit der anderen aufmunternd zu.
    Sie wartete, hielt die Tasse mit den Fingerspitzen und blickte fragend zwischen den beiden Männern hin und her. Mittlerweile war von Pinkertons erwartungsvoller Vorfreude nicht mehr viel übrig. Erneut hob er seine Tasse und versuchte, einen Rest feierlicher Stimmung zu retten.
    »Zum Wohl!«
    Sie sah zu, wie er die Tasse leerte.
    »Hiermit erkläre ich uns zu Mann und Frau.«
    Pinkerton nickte Sharpless zu. »Würden Sie ihr bitte sagen, dass die Zeremonie vorbei ist? Sagen Sie, die Amerikaner machen das so.«
    Die Formulierung gefiel ihm, er fand sie angemessen: Unter den gegebenen Umständen konnte man durchaus sagen, dass die Amerikaner es so machten. Sharpless hatte ihm wiederholt erklärt, sie sei keine Prostituierte, aber welches Mädchen würde sich denn sonst auf eine »Heirat« mit einem Seemann einlassen, der sich nur eine begrenzte Zeit im Land aufhielt? Sie musste doch die Spielregeln kennen. Falls es darum ging, den äußeren Schein zu wahren, war er bereit, das Spiel mitzuspielen, obwohl es nicht gerade billig war: Die Heiratserlaubnis kostete vier Dollar, die Miete für das Haus dreißig Dollar, und dazu kamen noch die laufenden Kosten für Essen und so weiter. Das pummelige Dienstmädchen, das er vor der Tür hatte herumhocken sehen, musste wahrscheinlich auch bezahlt werden. Andererseits machte das Haus einen ordentlichen Eindruck, und er würde möglicherweise drei oder vier Wochen hier verbringen. Zweifellos war es dem Etablissement irgendeiner Puffmutter in einer finsteren Gasse unten in der Stadt vorzuziehen.
    »Sie müssen noch den Ehevertrag unterschreiben«, sagte Sharpless, »damit alles seine Ordnung hat …«
    Pinkerton fand seinen Landsmann entsetzlich pedantisch, ein richtiger Paragrafenreiter.
    »Verstehe. Bereiten Sie einfach alles vor.«
    Er spürte den Blick des Konsuls auf sich, kalt und grimmig, ein Blick, wie er auch von einem seiner Vorgesetzten hätte stammen können. Unwillkürlich nahm Pinkerton Haltung an und befleißigte sich eines anderen Tons.
    »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Sir.«
    Zu seinem Missfallen hatte sich das Mädchen inzwischen hingekniet und berührte mit der Stirn die geflochtene Matte auf dem Boden. Was hatte das denn zu bedeuten? Unsicher beugte er sich nach unten, fasste sie bei den Händen und zog sie hoch. Zum ersten Mal berührten sie einander; sie hatte ihm ihr Gesicht zugewandt, blickte zu ihm auf. Er betrachtete ihre zarte, glatte Haut, nicht rosig wie bei den Mädchen zu Hause in Amerika, sondern blass wie Elfenbein mit dem Schimmer einer gehäuteten Mandel. Von den mandelförmigen Augen japanischer Frauen hatte er schon gehört, doch ihre Augen glänzten noch dazu, sie funkelten matt wie ein ungeschliffener Edelstein. Sie lächelte ihn an. Obwohl sie ganz gerade dastand, reichte sie ihm nicht einmal bis zur Schulter. Einen Moment verlor er sich in ihrem Blick; er spürte ein seltsames Ziehen in der Brust und hielt ihre Hände fest, ihre glatten Fingerspitzen fühlten sich kühl an seinen Handflächen an. Führte sie seine Hand etwa? Einen Moment war er verwirrt, und er ertappte sich dabei, wie er ihre Finger an seine Lippen hob. Glücklicherweise sah Sharpless aus dem Fenster und bekam von diesem peinlichen Intermezzo nichts mit.
    »Sagen Sie ihr, dass ich später mit meinen Sachen zurückkomme.«
    Pinkerton blickte sich in dem leeren Raum um. Keine Schränke, keine
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