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Madame Butterflys Schatten

Madame Butterflys Schatten

Titel: Madame Butterflys Schatten
Autoren: Lee Langley
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Kommoden. Wo verstauten diese Leute bloß ihre Habseligkeiten? Die windigen Häuser bestanden nur aus Holz und irgendwelchen Wandschirmen aus Papier. Von Behaglichkeit keine Spur.
    Sharpless hatte ihm gesagt, was auf Wiedersehen hieß.
    » Sayonara .«
    Er sprach es unbeholfen in seinem gedehnten amerikanischen Tonfall aus. Im nächsten Augenblick kam er sich noch unbeholfener vor, als er seine Schuhe anzog und die wacklige Tür so schwungvoll zur Seite schob, dass Holz gegen Holz krachte.
    Das Mädchen sah ihm nach, wie er mit großen Schritten und schlenkernden Armen den Hügel hinuntereilte, beobachtete seine ausgreifenden Bewegungen, seinen selbstsicheren Gang. Weiß und golden, im Sonnenlicht schimmernd. Er warf einen Blick zurück und salutierte gut gelaunt. Sie fing sein Lächeln auf, erwiderte es. Wenn er lächelte, wirkte er jünger, beinahe jungenhaft. Sie steckte die Hände in die Ärmel ihres Kimonos und umklammerte nervös ihre Ellbogen. Auf einmal war alles anders: Was sie als unangenehme Pflicht auf sich genommen hatte, als duldsames Sichfügen in ihr Schicksal, erschien nun in einem anderen Licht. Sie beobachtete, wie er immer kleiner wurde und schließlich ganz verschwand. Rief sich seine Augen ins Gedächtnis, in denen sich das Meer zu spiegeln schien, seine Haare, die wie reifer Weizen leuchteten, seine kräftigen Hände, die ihre hielten, den Schreck, als seine Lippen ihre Fingerspitzen berührten. Dass er neben Sharpless-san wie ein Riese wirkte und mit dem Kopf beinahe an die Decke stieß. Sein Lächeln. Sie sah, dass Leutnant Pinkerton schön war.
    Sie hatte sich auf einen Handel eingelassen, der jederzeit widerrufen werden konnte, ihr war klar, dass diese Ehe nicht auf Dauer angelegt war, aber sie konnte versuchen, etwas Dauerhaftes daraus zu machen. Es war möglich, dass er sich an sie gewöhnte, sie sogar schätzen lernte. Und dann würde er sie vielleicht mit nach Amerika nehmen.
    Zögernd sagte sie: »Sharpless-san, würden Sie behaupten, dass Leutnant Pinkerton ein gut aussehender Mann ist?«
    Sie selbst durfte das nicht, das wäre noroke und stand ihr nicht zu, aber indem sie ihn nach seiner Meinung fragte, konnte sie ihren Eindruck wenigstens indirekt zum Ausdruck bringen.
    Er runzelte die Stirn. »Er sieht aus wie viele Amerikaner.«
    Sharpless bemühte sich bewusst um einen sachlichen Ton. Er hatte ihre bekümmerte Miene bemerkt, als sie sich nach der Hochzeitszeremonie erkundigt und Pinkerton sie so kurz abgefertigt hatte.
    Was für Gebräuche sonst? Cho-Cho erinnerte ihn tatsächlich ein wenig an Ophelia; eine Ware, mit der ihre Familie Handel trieb, ein Gegenstand, der das Begehren eines Mannes weckte und dessen man sich nach einer gewissen Zeit wieder entledigte.
    Unter all den Aufgaben, die er mit seiner Ernennung zum Konsul übernommen hatte, gab es nur eine, auf die er gut hätte verzichten können – eine Aufgabe, die seiner Ansicht nach nicht sehr viel mit Diplomatie zu tun hatte.
    Sein Vorgänger hatte mit den Schultern gezuckt. »Sie können es ablehnen, das Ganze ist natürlich inoffiziell und kommt nicht oft vor – die meisten gehen einfach in ein Teehaus. Aber wenn ein Schiff längere Zeit im Hafen liegt … Sagen Sie selbst: Würden Sie wollen, dass einer unserer Jungs mit einer höchst peinlichen Krankheit nach Hause fährt? Es ist eine taugliche Lösung, und sie hat sich bewährt. Alle Beteiligten profitieren davon.« Und er schien recht zu behalten, bis heute, bis zu Pinkerton und Cho-Cho. Aber das Mädchen wollte, dass er dabei war; er hatte ihren Vater gekannt, und sie vertraute ihm. Trotzdem war ihm nicht wohl zumute.
    Es war ihm nicht entgangen, wie sie Pinkerton angesehen hatte. Am liebsten hätte er zu ihr gesagt: Lauf weg. Flieh. Such dir Arbeit in einem ehrbaren Teehaus, lerne singen und ein Instrument spielen, du musst das hier nicht tun. Aber natürlich musste sie es. Der Heiratsvermittler hatte nicht lange um den heißen Brei geredet: Da beide Eltern tot waren – schlimmer noch, der Vater von Schulden in den Ruin getrieben, seiner Würde beraubt, was sich nur durch einen ehrenvollen Selbstmord wiedergutmachen ließ –, gehörte Cho-Cho ihrem Onkel, und dieser Onkel hatte in ihrem Namen den Ehevertrag geschlossen. Sie war sein Eigentum und als solches verkäuflich.
    Mit wachsendem Widerwillen hatte sich Sharpless die Geschichte angehört. »Und was will sie selbst?«
    »Ihre Stimme zählt nicht«, hatte der Heiratsvermittler achselzuckend erwidert.
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