Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn die Turmuhr 13 schlägt

Wenn die Turmuhr 13 schlägt

Titel: Wenn die Turmuhr 13 schlägt
Autoren: Thomas Brezina
Vom Netzwerk:
Nächtlicher Besuch
    Die Hand, die sich auf die Türklinke legte, steckte in einem glatten, weißen Lederhandschuh. Vorsichtig und langsam drückte sie die alte, abgewetzte Schnalle hinunter. Das Schloß knackte, aber die Tür ging nicht auf. Sie war versperrt.
    Das hatte der nächtliche Besucher befürchtet. Er schnaubte verärgert und kramte hektisch in den Taschen seines weiten, schlotternden Arbeitsoveralls.
    Schließlich zog er einen schweren Schlüsselbund heraus und verstreute dabei zahlreiche kleine, bunte Papierschnitzel.
    Um besser sehen zu können, schob der Mann seine Schirmkappe nach hinten. Für einen Moment fiel das Licht des Halbmondes auf das Gesicht. Drei lange, breite Narben zogen sich über die rechte Wange.
    Der Mann beugte sich tief hinunter und machte sich daran, das Schloß der alten Holztür zu knacken. Immer wieder sah er sich unruhig um. War ihm auch bestimmt niemand auf den Schloßberg gefolgt?
    Der nächtliche Besucher probierte einen Schlüssel nach dem anderen aus. Doch keiner schien zu passen. Erst der vorletzte ließ sich in das Schlüsselloch stecken. Mit etwas Gewalt gelang es dem Einbrecher, den Schlüssel herumzudrehen. Die Tür sprang auf.
    Blitzschnell huschte die hagere Gestalt in einen dunklen Raum, in dem noch die dumpfe, muffige, warme Luft des Tages stand.
    Eine Taschenlampe blitzte auf. Langsam tastete ein heller Punkt über den Boden und die Wand. Bei einer Holztür machte er halt.
    Der Mann mit der Schirmkappe steuerte zielstrebig auf diese Türe zu. Dahinter befand sich eine alte, enge Holztreppe, über die man in die oberen Stockwerke gelangte.
    Zwei abgewetzte, ölige Turnschuhe erklommen Stufe für Stufe. Als der Eindringling eine niedere Kammer betrat, seufzte er wieder. Doch diesmal klang sein Seufzen erleichtert. Er schien am Ziel zu sein.
    Der Schein der Taschenlampe glitt über ein schwarzes, metallenes Gestänge, über Zahnräder, Hebel und Federn.
    Die beiden Zeiger der Turmuhr standen genau auf 12 Uhr, als sich der unbekannte nächtliche Besucher an die Arbeit machte.
     
    Zwei Stunden später.
    Ein spitzer, scharfer Gegenstand kratzte über Poppis nackten Arm und riß das Mädchen aus dem Schlaf. Erschrocken schlug Poppi die Augen auf und starrte an die Zimmerdecke. Was war das gewesen?
    Poppi wagte nicht, sich zu rühren. Ihr Herz schlug schnell und laut. Sie spürte, daß sich links von ihrem Bett etwas bewegte. Ein kleiner Schatten schwankte über ihr Nachtkästchen.
    Das Mädchen schluckte und drehte dann ganz langsam den Kopf zur Seite. Poppi war auf alles gefaßt.
    Als sie nun aber sah, wer da durch das dunkle Zimmer spukte, mußte sie schmunzeln.
    „Mister Flop!“ flüsterte sie streng.

    „Guten Morgen, gute Nacht, mit Reißnägeln bedacht...“ lautete die gekrächzte Antwort. Poppi hüpfte aus dem Bett und streckte den Arm in Richtung Nachtkästchen. Gleich darauf klammerten sich zwei kräftige Greiffüße an ihren Fingern fest, und das Mädchen holte einen possierlichen Graupapagei zu sich heran. Liebevoll kraulte es ihn am Kopf.
    „Mister Flop, wie kommst du zu mir ins Zimmer? Wieso hast du mich am Arm gekratzt, und wie hast du es schon wieder geschafft, deinen Käfig aufzumachen?“
    Der Papagei neigte seinen Kopf zur Seite und blickte Poppi nachdenklich an. „Morgenstund’ ist ungesund!“ gab er schließlich mit seiner schnarrenden Stimme von sich.
    Poppi lachte leise in sich hinein und beschloß, Mister Flop in seinen Käfig zurückzubringen. Der redefreudige Vogel gehörte ausnahmsweise nicht ihr, sondern Karl-Heinz, der im Untergeschoß der geräumigen Villa von Poppis Eltern ein Zimmer bewohnte.
    Er war 23 Jahre alt und um vier Ecken mit dem Mädchen verwandt. Eigentlich war er in Schladming zu Hause. Da er aber an der Universität von Graz Medizin studierte, hatte ihn die Familie Monowitsch bei sich aufgenommen.
    Bloßfüßig tappte Poppi die Treppe hinunter und blieb auf dem letzten Absatz überrascht stehen.
    Was war denn da los? Die Tür zum Zimmer von Karl-Heinz stand offen. Drinnen brannte Licht. War der junge Mann noch auf?
    „Beim Abendessen hat er doch lautstark verkündet, daß er früh schlafen gehen will. Angeblich hat er morgen eine Prüfung, für die er topfit sein muß!“ schoß es Poppi durch den Kopf.
    Sie warf einen zaghaften Blick in sein Zimmer. Es war leer! Ein zerwühltes Bett bewies, daß der Student schon geschlafen hatte. Aber wieso war er wieder aufgestanden, und wo war er hingegangen?
    Poppi konnte sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher