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Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe
Autoren: Petra Hammesfahr
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gewesen war, nur enttäuscht. Lange blieb Achim nicht dabei. Und Ben wollte nicht sofort wieder gehen.
    Die kleine Maus hatte ihm nichts Böses getan. Der Schnitt mit dem Messer war nicht so schlimm gewesen, wie sie meinte. Seine Mutter hatte manchmal schlimmere Dinge mit ihm gemacht. Und sie war doch nur eine kleineMaus. Kleine Mäuse durfte man nicht ernst nehmen, wenn sie sich dumm benahmen. Und wenn sie weinten   … Er konnte keinen Menschen weinen sehen, wollte nicht, dass jemand traurig war, tröstete sie, so gut er konnte.
    Er nahm sie in die Arme, wie Dieter es mit Patrizia machte, wenn sie Kummer hatte. Und diesmal verbot sie ihm nicht, sie anzufassen. Sie legte den Kopf an seine Schulter, weinte sein Hemd nass und erzählte dabei von einem Holzwurm, der nicht ihr Vater sein wollte. Dass sie gerne einen Wurm zum Vater gehabt hätte, verstand er nicht. Sie war wirklich sehr merkwürdig, aber ihn störte das nicht. Er war ja auch nicht wie alle anderen.
    Was sonst noch an diesem Nachmittag zwischen ihnen geschah, weiß ich nicht. Er konnte es nicht sagen, aber er wollte es nicht wieder hergeben, wie er alles andere hatte hergeben müssen. «Maus.»
    Ich wusste nur von Trude, dass er früher tote Mäuse gesammelt hatte – im Bruch. «Da kannst du nicht mehr hingehen», sagte ich. «Dort haben wir tote Frauen gefunden. Und viele Leute denken, du hättest sie getötet. Ich glaube das nicht. Aber ich kann nicht verhindern, dass sie dich wieder einsperren, wenn du mir nicht sagst oder zeigst, was du gemacht hast.»
    Da setzte er sich endlich zu mir an den Küchentisch. Ich fühlte mich, wie Trude sich in den furchtbaren Wochen gefühlt haben musste, schob ihm noch einmal das Foto von Vanessa Greven hin. Er kramte in seinem Kasten, zog eine Karte heraus. LEO. Es stand wohl für Leonard Darscheid.
    «Was hast du mit dieser Frau gemacht?»
    Er schüttelte den Kopf, kramte weitere Karten heraus. BEN BRINGEN FRAU MACHEN HOLZ SCHÖN.
    «Hast du der Frau wehgetan?»
    Nun schüttelte er heftig den Kopf, winkte gleichzeitigunwillig ab. «Maus weh», sagte er und wollte wieder zur Tür.
    Und ich sagte noch einmal: «Du kannst nicht mehr zum Bruch gehen. Setz dich wieder hin und sag mir, wo du deine Schulter und den Arm verletzt hast.»
    «Maus», sagte er. Sie war die einzige Frau, für die er einen Namen hatte. Sie hatte auch einen für ihn, einen ganz neuen, den nur sie aussprach. Dafür hatte er keine Karte, er wollte auch nicht länger mit mir diskutieren. Ich sollte nur endlich verstehen, und er hatte nicht für alles Karten. Er nahm sich das dicke Malbuch vor, blätterte hastig, tippte hier und dort auf eine Zeichnung. Ein grünes Auto, eine Landschaft mit Bäumen, ein kleines Haus und zurück zu dem Auto.
    Dann schlug er eine Märchenszene auf, Schneewittchen im gläsernen Sarg. Er tippte auf die schlafende Schönheit. «Maus.» Anschließend suchte er einen schwarzen Filzstift aus dem Mäppchen und verwandelte mit wenigen Strichen den Prinzen hoch zu Ross in den Tod. Er zeichnete ihm eine Sense in die Hand.
    Ich traute meinen Augen nicht. Und er war mit seiner Geduld am Ende, riss mich am Arm vom Stuhl. «Mit», zerrte mich zur Tür, weiter ins Freie. Mir blieb nichts anderes übrig, als mit ihm zu gehen. Und wie Trude an dem trüben Mittwoch im März 96 dachte ich, hoffentlich sieht uns niemand.

Miriam
    Die Momente dicht unter der Oberfläche wurden länger. Etwas in ihr hatte zu kämpfen begonnen, Instinkt oder Lebenswille, vielleicht nur eine grausame Laune der Natur,die verhindern wollte, dass sie erlöst wurde, ehe sie nicht völlig die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation erkannt hatte. Was auch immer es war, es wehrte sich gegen die trügerischen Szenen von Bewegung, Aktivität und Sicherheit, wehrte sich gegen die Schwärze und zwang sie allmählich in die Realität.
    Es war eine Qual, im Schmerz zu treiben, aber die Kälte störte mehr. Ihr war sehr kalt, das Laken unter ihrem Körper fühlte sich klamm und feucht an. Nur die linke Hand lag warm und trocken unter der zweiten Decke. Ihre Decke war weg, das registrierte sie, als sie die Schultern leicht bewegte. Und mit der Bewegung fühlte sie das Brennen über dem linken Schulterblatt.
    Das Messer war über dem Knochen abgerutscht, die Wunde gut fünf Zentimeter lang, jedoch nicht sehr tief und bereits leicht verschorft. Sie blinzelte mit dem linken Auge, das rechte war ins Kissen gedrückt. Zu sehen war nichts. Es war stockdunkel im Zimmer. Der Rollladen
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