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Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Titel: Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Prolog
     
    Als Kind fieberte er der Zeit entgegen, wenn wieder ein Hammel
geschlachtet werden sollte. Stand im Freundeskreis der Eltern eine Hochzeit
bevor, zogen die Männer am Vorabend auf die Weide, streiften durch die Herde
und griffen eines der Tiere heraus. Spätestens dann begann sein Herz schneller
zu schlagen, und es kribbelte in seinem Nacken. Die gesamte Herde ahnte
bereits, was bevorstand. Auf ihren Stöckelbeinen rieben sich die Tiere
aneinander und blökten gegen den Tod. Blitzschnell packten die Männer den
ausgewählten Hammel an den Beinen und warfen ihn auf den Rücken. Die Angst
drückte dem Tier die Augen aus den Höhlen. Es folgten ein kurzer Schnitt mit
dem Messer und das Röcheln des Tieres. Der dicke Blutschwall spritzte stoßweise
ins Gras.
     
    Nun war aus dem kleinen Jungen Kemal Güldünya ein Elitesoldat in der
türkischen Armee geworden, ein Kämpfer mit Leib und Seele, der gelernt hatte,
Waffen einzusetzen und ohne zu zögern Menschen zu töten. Er liebte diesen
Beruf, war aber trotz der engen Gemeinschaft des Militärs immer ein Einzelgänger
geblieben, unnahbar. Seine Gesichtszüge waren kantig und hart, die eng
zusammenstehenden Augen wirkten versteinert, ließen kaum eine Gefühlsregung
nach außen dringen. Eines Tages hatten seine Kameraden ihm, am Anfang zwar nur
scherzhaft, den Namen Azra’il (Todesengel) gegeben, obwohl seine
körperliche Ausstrahlung nicht im Geringsten mit der Lichtgestalt eines Engels
zu vergleichen war.
    Was
habe ich mit Azra’il zu tun, war sein Gedanke gewesen und ihm war eine
Vision vom Erzengel Dschibril (Gabriel) gekommen, der mit seinen
sechstausend Flügeln Muhammad bis vor den Thron Gottes geführt hatte. Was ist
meine Willenskraft gegen solch ein übernatürliches Wesen?
     
    Doch Azra’il hatte sich über die Zeit hartnäckig gehalten und wenn
ihn heute jemand mit dem Namen ansprach, klang es nicht mehr scherzhaft,
sondern ehrfürchtig. Die Anrede weckte eine schlafende Bestie in ihm und etwas
Fremdes, Bösartiges machte sich in seinem Körper breit. Dann begann sein Blut
zu pulsieren, wie damals in seiner Kindheit, wenn die Männer den Hammel
schlachteten, und sein Wunsch wurde nahezu übermächtig, endlich einen
wirklichen Feind an der Gurgel zu packen, um ihm blitzschnell die Luft
abzuwürgen.
    Die
respektvollen Blicke, die der Name bei den Kameraden auslöste, registrierte er
mit heimlichem Stolz. Es schmeichelte ihm, wenn das Wort Azra’il sie
zusammenzucken ließ und er fühlte sich für einen Moment als ein Auserwählter.
    Vor
zwei Jahren war er zwanzig geworden. Danach meldete er sich freiwillig zu einer
Eliteeinheit der Infanterie. Als der Einberufungsbescheid in der Post lag,
holten seine Brüder ihre Jagdflinten und feuerten auf der Straße vor dem Haus
in den Himmel. Mehrere Freunde waren mit ihren Autos vorbeigekommen. Kurze Zeit
später fuhren sie im Konvoi unter lautem Gehupe durch die Stadt und weiter bis
nach Ankara, um ihn zum Sammelpunkt für die neuen Rekruten zu bringen. Mehrmals
stoppten sie mitten auf der Strecke, stießen Freudenschreie aus und ballerten
ausgelassen in die Luft.
    Erst
ein Soldat war in seinen Augen ein richtiger Mann. So lange er zurückdenken
konnte, wollte er schon für dieses Land kämpfen. In der Schule war dieser
Wunsch noch größer geworden, denn die Lehrer der Grundschule ließen alle
Schüler militärisch strammstehen, bevor der Unterricht begann, oder es wurden
zu jeder Gelegenheit feierliche Fahnenappelle abgehalten.
    Er
konnte sich genau daran erinnern, wie stolz er das Holzgewehr, das sein Vater
für ihn gebaut hatte, seinen Mitschülern präsentierte. Er exerzierte damit in
jeder freien Minute über den staubigen Schulhof. Dem Vaterland schien seine
freiwillige Schinderei zu gefallen. » Jeder Türke wird als Soldat geboren «
stand auf allen Schulbüchern. Dieser Feststellung hätte es nicht bedurft.
    Bereits
nach der Grundausbildung gehörte er zu den Harten der Harten . Er wollte
unbedingt so schnell wie möglich Offizier werden, unterzog sich jedem
militärischen Drill voll Eifer und Begeisterung, erlernte ohne Murren die
Grußrituale, das Reinigen der eigenen Kleidung und der Waffen, ertrug
Erniedrigungen und Zurechtweisungen der Vorgesetzten, übte Gefechtsausbildung
und marschierte bis an seine körperlichen Grenzen. Er ließ selbst Prügel und
Schläge ohne mit der Wimper zu zucken über sich ergehen. Aber diese
schonungslose Haltung gegen sich selbst hatte ihm den Namen Azra’il
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