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Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Titel: Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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versuchen,
dich ihr zu entziehen, vor ihr Reißaus zu nehmen. Du kannst alles Mögliche
versuchen, aber die Welt ist da, wo du dich gerade befindest«, hatte der
Meister den Bericht über seine Flucht beendet.
    Kaum
waren die Worte durch Swensens Kopf gezogen, musste er an sein Gespartes
denken, das nach drei Jahren Tempelaufenthalt langsam zur Neige ging. Es stand
ein Entschluss an. Der Weg zur Erlösung führte zunächst zurück in die Welt. Am
selben Abend bat er um ein Gespräch bei Meister Rinpoche.
    »Ich
werde den Tempel verlassen, ehrwürdiger Rinpoche«, begann er nach langem
Schweigen das Gespräch. »Ich habe über meine Zukunft nachgedacht. Es wird Zeit
mir einen Beruf zu suchen. Ich möchte endlich etwas Konkretes anpacken, etwas
für andere Menschen tun!«
    »Die
Absicht, anderen zu helfen, ist lobenswert! Was verstehst du aber unter
konkret? Frage dich, was du die ganze Zeit anderes machst?«
    »Von
dem, was ich hier mache, kann ich später nicht leben! Was würde der ehrwürdige
Rinpoche sagen, wenn ich zur Polizei gehen würde?«
    »Es
ist wichtig, die eigenen Konzepte zunächst einmal zu respektieren!«, sagte der
Meister mit einem milden Blick und schaukelte seinen runden Kopf leicht hin und
her.
    »Was
meint der ehrwürdige Rinpoche mit zunächst?«
    »In
der buddhistischen Lehre betrachten wir Konzepte allgemein als Hindernisse.
Aber ein Hindernis heißt nicht, dass es etwas unmöglich macht. Ein Hindernis
kann auf deinem Weg auch zu einem Fahrzeug werden. Nirvâna , die
Erleuchtung, ist nicht besser als der Kreislauf des Lebens, Samsâra . Samsâra ist Nirvâna und Nirvâna ist Samsâra .«

1
     
    Sein Zorn hat eine feste Substanz. Er fühlt sich an wie ein zusätzliches
Organ, das wie ein Herz schlägt, wie ein Magen ohne Nahrung schmerzt und giftig
wie eine kranke Leber sein kann. Das ist keine Einbildung, er fühlt es
deutlich. Es ist aus dem feinen Hass gewachsen, dem Hass, der ihm über die
Jahre in der Fremde entgegenschlug. Immer, wenn er im morgendlichen Gedränge
der Busfahrt aus dem Gleichgewicht geraten war, dabei in eine fremde Zeitung
gestürzt und Schläge angedroht bekommen hatte, war das Organ in seiner Brust
wieder ein Stück gewachsen. Wie oft wurde er auf der Straße angepöbelt, ohne
ersichtlichen Grund, allein weil er nicht wie diese blasse Masse in Deutschland
aussah.
    »Scheiß-Türke,
verpiss dich!« gehörte zu den harmlosen Beschimpfungen, die er immer wieder zu
hören bekam. Dabei ist er gar kein Türke. Er ist Tunesier und lebt seit über
sechs Jahren in seiner Kieler Wahlheimat. Er spricht perfekt deutsch, hat nach
neun Semestern sein Schiffbaustudium immerhin mit der Note 1,3 abgeschlossen
und würde manchen deutschen Bildungsbürger locker in die Tasche stecken. Er
kennt sich aus mit ihrer Wiege des Abendlandes: Plato, Descartes, Hegel,
Nietzsche. Selbst nicht so geläufige Philosophen wie Lyotard oder Whitehead
gehören zu seinem Wissensstand. Besonders überzeugt ist er vom kategorischen
Imperativ. Für ihn sollte jeder Mensch verpflichtet sein, nach dieser Maxime
Kants zu handeln. Eine gültige Moral und Menschenwürde für alle. Wenn er daran
denkt, spuckt sein Organ Gift.
    Kein
Wunder, der heutige Tag ist der Gipfel aller bisherigen Demütigungen. Wie immer
hatte er am Morgen als Erster das Konstruktionsbüro betreten, den Computer
hochgefahren und das MegaCAD-Programm geladen, um mit einer 3D-Animation für
die U-Boot-Schlafräume zu beginnen. Eine halbe Stunde später waren fast alle
Arbeitsplätze um ihn herum besetzt gewesen und es war wie immer, bis ihm
aufgefallen war, dass er heimlich aus allen Richtungen mit erwartungsvollen
Blicken beobachtet wurde. Jedes Mal nur kurz, fast wie beiläufig. Er hatte es
bemerkt, weil sich um seine Anwesenheit sonst kaum ein Mitarbeiter kümmerte.
Besonders in dem Moment, als er die Schreibtischschublade aufgezogen hatte, war
die Anspannung der Kollegen förmlich mit den Händen zu greifen gewesen. Dort
lag ein kleines Kamel. Es war geschickt aus einem Klumpen brauner Masse
modelliert worden. Neben der Figur ein kleiner Zettel, auf dem mit rotem
Filzstift geschrieben stand:
    »Zur
Bekundung unserer Hochachtung vor Habib Hafside haben wir dieses Dromedar aus
dem Land seiner Abstammung geformt. Wir möchten ihm damit sagen, dass er zu
einer noch niedrigeren Lebensform gehört als dieses Stück Hefe.«
    Er
hatte den Zettel minutenlang ungläubig angestarrt. Sein Organ musste Säure
produziert haben, denn es lag ein
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