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Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe
Autoren: Petra Hammesfahr
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Achim an den Apparat, und sie hörte, was geschehen war.
    Als sie ankam, war es noch viel zu früh, um etwas zu unternehmen, kurz nach vier. Sie war müde, völlig erschöpft von der langen Fahrt, eine Pause hatte sie nicht eingelegt. Sie wollte fit sein für die Konfrontation mit der Kriminalpolizei, dachte sich, dass eine Menge Fragen und Vorwürfe auf sie zukämen. Sie legte sich ins Bett, schlief rasch ein und war eine leichte Beute.
    Als sie aufwachte, war alles anders. Ihr Bewusstsein trieb in einer Welle von Schmerz, kam für Sekunden an die Oberfläche, sank wieder hinab. Jeder Gedanke wurde auf der Stelle weggeschwemmt. Am schlimmsten betroffen war der Kopf. Ihr gesamter Schädel war erfüllt von unerträglichem Hämmern und Stechen, als ob Tausende von Stahlnägeln sich in den Knochen bohrten mit jedem flachen Atemzug.
    Sie lag auf dem Bauch, mit ausgestrecktem linken Arm, die Hand steckte warm unter der zweiten Decke auf dem breiten Bett. Ihre rechte Gesichtshälfte und das rechte Ohr lagen auf dem Kissen. Es war ein dickes Kissen, in dem ihr Gesicht so weit einsank, dass ein Nasenloch zugedrückt wurde und tiefe Atemzüge nicht möglich waren. In ihrem Zustand meinte sie jedenfalls, es läge am Kissen. Aber es war nicht weiter störend, lohnte nicht, für einen tiefen Atemzug den rasend schmerzenden Kopf ein wenig anzuheben und anders zu legen, er war auch viel zu schwer.
    Dass sie einen Schlag auf den Hinterkopf erhalten hatteund einen zweiten dicht am linken Ohr, wusste sie nicht. Der erste Schlag hatte ihren Schlaf in Bewusstlosigkeit verwandelt. Dann hatte der Mann noch einmal zugeschlagen. Am Hinterkopf war die Haut aufgeplatzt, die Wunde hatte stark geblutet, war aber inzwischen verschorft. Auch der zweite Schlag am Ohr hatte zu Gewebeschäden und einer kleinen Blutung geführt. Die äußere Ohrmuschel war stark angeschwollen, Blut in den Gehörgang eingedrungen und dort geliert. Der Pfropfen verschloss das geplatzte Trommelfell und schirmte sie ab gegen jedes Geräusch, sogar gegen das laute Rumoren aus der Garage.
    Ihr Körper fühlte sich taub an, sie spürte weder Arme noch Beine, auch den Rücken nicht und nicht die klebrige Feuchtigkeit, in der sie lag. Die Nähe des Todes gaukelte ihr Bewegungen und Aktivitäten vor. Einmal war ihr, als käme Nicole ins Zimmer und brächte ihr das Frühstück ans Bett. Und einmal war ihr, als streckte Ben die Hand aus, um sie zu streicheln.
    «Nicht anfassen», murmelte sie.
    Sie taumelte an der Schwelle des Lebens von einer verführerischen Szene in die andere. Wäre ihr bewusst gewesen, was mit ihr geschehen war, hätte sie Sterben vielleicht als schön und friedlich empfunden. So war es nur wie ein Pendeln hinauf und wieder hinab in völlige Leere, in der es keinen Schmerz gab, keine Sehnsucht und keine Erinnerungen.

21.   Oktober 1997   –   16   :   00   Uhr
    Maus! Ich wusste doch nicht, wen er meinte, wusste nichts von dem Nachmittag, als Achim Lässler ihn auf Bruno Kleus Hof abgeholt hatte, angeblich zu einem Spaziergang,damit Ben mal rauskam. Bruno hatte sich sehr darüber gewundert, aber auch sehr darüber gefreut, dass Achim endlich zur Vernunft gekommen war und sich besann auf all die Stunden in früheren Jahren, in denen Ben für ihn die schweren Futtersäcke in den Schweinestall geschleppt hatte.
    Eigentlich hatte Nicole Rehbach damals diesen «Spaziergang» mit Ben übernehmen sollen. Aber Nicole sah einerseits keine plausible Erklärung, die sie Bruno Kleu hätte bieten können, und fand andererseits, Miriam sollte Ben in Ruhe lassen. Er war zufrieden bei Patrizia und Bruno, so sollte es bleiben.
    Auch Achim Lässler war nicht auf Anhieb bereit, Miriam diesen Gefallen zu tun. Es war erst wenige Wochen her, dass sie vor ihm in der Diele gestanden und verlangt hatte, er solle Ben umbringen. Und plötzlich dieser Sinneswandel. Sie bat so eindringlich.
    «Ich muss ihn sehen, bitte. Nur noch einmal. Du kannst dabei bleiben und dich überzeugen, dass ich ihm nichts antun will. Wenn er nicht bleiben will, kann er sofort gehen. Ich will ihm nur sagen, wie Leid mir das alles tut. Verstehst du? Er hat mir vertraut, er zeigte mir, dass er mich mag. Und ich wollte unbedingt beweisen, dass er Lukkas Komplize war.»
    Es war der letzte Sonntag im Mai 97, als Achim ihn zum Bungalow brachte und Miriam ihn bat, ihr zu verzeihen. Er wusste gar nicht, was das war, hatte noch nie einem Menschen etwas verzeihen müssen, weil er noch nie jemandem böse
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