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Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe
Autoren: Petra Hammesfahr
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war unten. Aber aus der Diele hätte Tageslicht einfallen müssen. Sie hatte die Tür nicht geschlossen. Die völlige Dunkelheit konnte nur bedeuten, dass es Nacht oder die Tür geschlossen worden war.
    Rechts neben ihr war der Nachttisch, darauf stand eine Lampe. Mit der seitlichen Bewegung des rechten Armes zuckte ein scharfer Schmerz durch die Brust. Unwillkürlich zog sie die Luft ein, der Kopf schien zu explodieren, sie musste husten. Aber die Fingerspitzen hatten den Lichtschalter erreicht. Sie zog die linke Hand aus der Wärme und drückte das Kissen unter dem Gesicht etwas nieder. Nun lag das Laken in ihrem Blickfeld, es war voller Blut, das aus der Wunde auf dem Schulterblatt stammen musste.
    Vorsichtig versuchte sie, die Stelle mit der Hand zu erreichen. Es war sehr beschwerlich, den linken Arm zuverdrehen und die Hand so weit nach oben zu schieben, dass ihre Finger etwas ertasten konnten. Das Messer. Es verursachte den dumpfen, quälenden Druck in der Brust und die Schwierigkeiten bei der Atmung, steckte bis zum Heft unter ihren Rippen. Links!
    Die Klinge musste das Herz knapp verfehlt haben. Sie war eher verwundert als schockiert. Die Schmerzen im Kopf schienen bedrohlicher. Mühsam brachte sie den linken Arm weiter nach oben, schob ihn langsam über das rote Laken, erreichte mit den Fingerspitzen wieder das Kissen, wollte den Kopf abtasten, nur feststellen, ob der Schädelknochen verletzt war. Aber bis zum Kopf kam sie nicht. Ein erneuter kurzer, scharfer Schmerz in der Brust machte ihr endgültig klar, dass sie den linken Arm nicht bewegen durfte.
    Länger als eine Stunde kämpfte sie gegen die Verlockung, die Augen wieder zu schließen, zurückzugleiten in den Zustand von Schmerzlosigkeit und Nichtwissen. Der Schmerz im Kopf war unverändert heftig, die Übelkeit würgte sie. Das Brennen in der Schulter wurde stärker, war aber nebensächlich. Sie wusste genug über Medizin und die Reaktionen eines Körpers. Es waren immer die relativ harmlosen Verletzungen, die einen Aufruhr der Nerven verursachten. Die wirklich bedrohlichen setzten Hormone frei, die wie ein starkes Schmerzmittel wirkten. Dann fühlte man kaum etwas.
    Ein Stich in die Lunge. Der dumpfe Druck in der Brust sprach dafür. Vielleicht lebte sie nur noch, weil das Messer die Wunde provisorisch verschloss und verhinderte, dass ihre Lunge kollabierte. Ob das der richtige Ausdruck war, wusste sie nicht, aber was kümmerte sie der richtige oder falsche Ausdruck. Sie wusste jedenfalls, dass von außen keine Luft eindringen und sie das Messer nicht herausziehen durfte.
    Und an der rechten Seite ihres Körpers war noch eine Wunde, aus der es beständig rot im Laken versickerte. Eine gute Handbreit unter den Rippen, in dem Bereich, in dem die Nieren lagen, war eine Arterie verletzt. Sie befürchtete, dass ihre rechte Niere durchstochen war, und sie hatte nur noch diese. Die Blutung konnte sie stoppen, indem sie den rechten Handrücken dagegen presste. Es war unbequem, zwang sie, den rechten Arm unnatürlich anzuwinkeln. Wie lange sie ihn so halten konnte, wusste sie nicht.
    Ihr war entsetzlich kalt. Das Zimmer wurde nie beheizt, aber daran allein lag es vermutlich nicht. Das Fenster war geschlossen, die Tür zur Diele tagelang offen gewesen, die Wärme aus den anderen Räumen musste die Zimmertemperatur auf neunzehn bis zwanzig Grad gebracht haben. In den Tagen vor ihrer Abreise am 13.   Oktober waren es immer um die zwanzig Grad gewesen, genau richtig, um am späten Abend zu Bett zu gehen und noch eine Weile ohne Decke zu liegen.
    Das waren Momente, die sie intensiv genoss. Wenn die Haut einen Hauch von Kühle spürte, nicht so, dass sie fror, nur so viel, dass sie jeden Zentimeter Wärme registrierte, die er ausstrahlte – wenn er bei ihr war. Seit Anfang Juni war Ben jede Nacht bei ihr gewesen und bis zum frühen Morgen geblieben. Und wenn er sich davonstahl, weil er meinte, dass Patrizia ihn ebenso nötig brauchte, deckte er sie gut zu.
    Sie wusste, dass er keine Frau im Bendchen vergewaltigt haben konnte. Sie war sein Alibi für jede Nacht, in der ein Mensch verletzt oder gestorben, auch für den Morgen, an dem Hartmut Rehbach verblutet war. Nun verblutete sie.
    Nur nicht einschlafen, auf gar keinen Fall das Bewusstsein verlieren. Und nicht in Panik geraten, nicht grübeln,wie viel Blut schon in der Matratze versickert sein mochte. An etwas Schönes denken, an die Tage in Südfrankreich. Sie hatte ein kleines Haus gemietet, ursprünglich nur
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