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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden
Autoren: Joy Fielding
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DIE STUNDEN
1

    Sie dachte darüber nach, wie sie ihren Mann umbringen könnte.
    Martha Hart, von allen Mattie genannt, nur nicht von ihrer Mutter,
    die regelmäßig erklärte, Martha sei doch ein wunderschöner Name –
    »Oder hast du je davon gehört, dass Martha Stewart ihren Namen
    geändert hat?« –, zog in dem langen beheizten Pool, der den größten Teil des ansehnlichen Gartens einnahm, ihre Bahnen. Außer bei Gewitter
    oder bei für Chicago nicht untypischem vorzeitigen Schnee pflegte sie von Anfang Mai bis Mitte Oktober jeden Morgen fünfzig Minuten zu
    schwimmen, genau einhundert Bahnen, abwechselnd Frei- oder
    Kraulstil. Gewöhnlich war sie spätestens um sieben im Wasser, um fertig zu sein, bevor Jake und Kim aus dem Haus gingen, aber heute hatte sie verschlafen, genauer gesagt, sie war nach einer Nacht, in der sie kein Auge zugetan hatte, erst kurz vor dem Läuten des Weckers eingenickt.
    Jake, wie üblich von solchen Schwierigkeiten unbehelligt, war aus dem Bett und in der Dusche, bevor sie richtig wach geworden war. »Geht’s dir gut?«, hatte er etwas später, tadellos gekleidet und gut aussehend wie immer, gefragt und das Haus so schnell verlassen, dass sie gar nicht dazu gekommen war, ihm zu antworten.
    Ich könnte ihn mit einem Fleischermesser erstechen, dachte sie jetzt und schob die geballten Fäuste durch das Wasser, als stieße sie mit jeder Armbewegung die mindestens dreißig Zentimeter lange Klinge ihrem
    Mann mitten ins Herz. Als sie am Ende des Beckens wendete, um die
    nächste Bahn in Angriff zu nehmen, fiel ihr ein, dass es vielleicht einfacher wäre, Jake mit einem wohl berechneten Schubs die Treppe
    hinunter ins Jenseits zu befördern. Oder sie könnte ihn vergiften, indem sie ihm statt geriebenem Parmesan eine Hand voll Arsen auf die
    Spaghetti streute, die er sehr gern aß und die sie ihm erst gestern Abend gemacht hatte, bevor er noch einmal weggefahren war, angeblich in die Kanzlei, um dem alles entscheidenden Schlussplädoyer für den heutigen Prozesstag den letzten Schliff zu geben. Bevor sie in seiner Jacke – der Jacke, die sie für ihn hatte zur Reinigung bringen wollen – die
    Hotelrechnung gefunden hatte, die eindeutig bewies, dass er wieder
    einmal fremdging.
    Sie könnte ihn natürlich auch erschießen, sagte sie sich und drückte das Wasser, das zwischen ihren Fingern hindurch glitt, als drückte sie auf den Abzug einer Pistole. In ihrer Phantasie sah sie die Kugel über das Wasser fliegen, direkt in den Gerichtssaal, wo ihr nichts ahnender
    Ehemann sich soeben erhob, um das Wort an die Geschworenen zu
    richten. Sie sah zu, wie er sein dunkelblaues Jackett knöpfte, kurz bevor die Kugel es zerfetzte und dunkelrotes Blut langsam auf die akkuraten Diagonalstreifen der blau-goldenen Krawatte quoll, während das
    jungenhafte kleine Lächeln, das so sehr von seinen Augen wie von
    seinem Mund ausging, zuerst erstarrte und dann verblasste und
    schließlich ganz erlosch, als er in dem ehrwürdigen alten Gerichtssaal zu Boden stürzte.
    Meine Damen und Herren Geschworenen, sind Sie zu einem Urteil
    gelangt?
    »Tod den Verrätern!«, rief Mattie laut und trat im Wasser um sich, als hätte sie sich in einer Decke verheddert, aus der sie sich befreien musste.
    Ihre Füße fühlten sich plötzlich so bleiern an, schwer wie Zementblöcke.
    Einen Moment lang erschienen sie ihr wie Fremdkörper, als gehörten sie einer anderen Person und seien völlig willkürlich an ihrem Rumpf
    befestigt, wo sie nun keinem anderen Zweck dienten, als sie in die Tiefe zu ziehen. Sie versuchte zu stehen, aber ihre Fußsohlen fanden den
    Grund des Beckens nicht, obwohl das Wasser nur einen Meter fünfzig
    tief war und sie beinahe zwanzig Zentimeter größer.»Verdammt noch
    mal!«, schimpfte Mattie, verhaspelte sich beim Atmen und schluckte eine Ladung Chlorwasser. Sie schnappte heftig nach Luft und rettete sich an die Seitenwand des Pools. Über den Beckenrand gekrümmt, hielt sie sich an den glatten braunen Steinen fest. Immer noch umschlossen
    unsichtbare Hände ihre Füße und suchten, sie unter Wasser zu ziehen.
    »Geschieht mir ganz recht!«, stieß sie zwischen schmerzhaften
    Hustenattacken hervor. »Geschieht mir ganz recht! Was muss ich so
    finstere Pläne wälzen!«
    Sie war noch dabei, sich ein paar Tropfen Speichel vom Mund zu
    wischen, als sie aus dem Nichts von einem hysterischen Lachkrampf
    geschüttelt wurde. Das Gelächter mischte sich mit dem Husten, eines schaukelte sich am anderen
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