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Lukkas Erbe

Lukkas Erbe

Titel: Lukkas Erbe
Autoren: Petra Hammesfahr
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gefunden. Vielleicht war er wirklich bei ihr gewesen und hatte ihr Murmeln gehört: «Nicht anfassen.»
    Kleine Mäuse mochten manchmal dumm sein, aber auch Bruno hatte ihm oft erklärt, er hätte die Mädchen nicht anfassen dürfen, er hätte jemanden holen müssen. Diesmal hatte er es richtig gemacht. Es hatte nur so entsetzlich lange gedauert, bis ich ihn verstand.
    Als wir ins Schlafzimmer kamen, dachte ich im ersten Moment, es sei zu spät. Aber als er ihr durchs Gesichtstrich, blinzelte sie. Und ich meine, sie hätte gelächelt und etwas gemurmelt, nur ein Wort, ich habe es nicht verstanden.
    Der Notarzt brauchte nur sieben Minuten. In der Zeit drückte ich die Arterie ab und redete auf sie ein. «Nicht einschlafen, Frau Wagner, nicht einschlafen.»
    Sie hörte mich gar nicht. Er streichelte unentwegt ihr Gesicht, sagte immer wieder: «Maus.» Was sie sagte, verstand ich nur zum Teil. «Bei mir – jede Nacht.» Und etwas von Frankreich und Auto.
    Dann musste ich Platz machen für den Notarzt. Ben schaute sehr kritisch zu, wie sie versorgt wurde. Als der Arzt eine Infusion anlegte, vergewisserte er sich bei mir: «Fein macht?»
    «Ja», sagte ich. «Das muss sein, damit sie gesund wird.»
    Der Arzt schaute sehr skeptisch drein. Aber bei Tanja Schlösser hatten sie es auch geschafft. Und wie sie da auf dem Bett lag, war sie wie Tanja, so kindlich, so nahe am Tod.
    Der Rettungshubschrauber landete zwanzig Minuten später auf der Kreuzung. Es war alles wie vor zwei Jahren, nur dass Ben nicht blutend am Boden lag. Er lief herum und wollte unbedingt in den Helikopter steigen. «Mit.»
    «Du kannst nicht mit», sagte ich. «Du musst bei mir bleiben. Wir fahren mit dem Auto hinterher.»
    Wir konnten nicht sofort fahren, ich musste warten, bis mein Kollege und die Spurensicherung eintrafen. Ich rief Patrizia dazu und schickte sie mit Ben zum Schlösser-Hof.
    Dann hatte ich eine knappe halbe Stunde, mich umzuschauen. Miriam Wagners Schlüssel lagen in ihrer Handtasche, die unter einem Kleiderhäufchen im Schlafzimmersteckte. Ich schaute mir den Jaguar an, entdeckte einen Koffer und eine Reisetasche. In der Tasche befand sich Männerkleidung, offenbar in Frankreich gekauft.
    Den Koffer mit Miriams Sachen habe ich nur geöffnet, aber nicht ausgeräumt. Unter ihrer Kleidung lagen zwei Holztafeln, ich habe sie nicht gesehen. Sonst hätte ich gewusst, wer Svenja Krahl im Sommer 95 vergewaltigt hatte, ehe mein Kollege die Ermittlungen wieder in seine Hände nahm.
    Dirk Schumann war sehr wütend auf mich. «Verdammt nochmal, Brigitte, was treibst du hier?»
    Dirk wollte Ben unbedingt haben. «Vergiss ihn», sagte ich. «Er hat ein Alibi für jede Nacht in den letzten Monaten. Und ich glaube, er war gar nicht mehr hier, als Rehbach getötet wurde.»
    «Du glaubst», meinte Dirk. «Und was glaubst du, wo er war?»
    «In Urlaub», sagte ich.
    Dirk tippte sich an die Stirn. «Willst du mich verscheißern?»
    Nein, das wollte ich nicht. Nur konnte ich vorerst nicht mehr sagen und hatte nicht die Zeit für lange Erklärungen. Ich musste mich um Ben kümmern, hatte ihm schließlich etwas versprochen.
    Miriam Wagner war ins Klinikum Merheim gebracht worden. An dem Abend und in der Nacht hatte es keinen Sinn mehr, dorthin zu fahren. Ich blieb mit ihm auf dem Schlösser-Hof, er lief die ganze Nacht umher, sagte unzählige Male: «Maus.»
    Am nächsten Vormittag hieß es, sie habe keine Chance. Sie hatte noch im Hubschrauber den ersten Herzstillstand erlitten, am frühen Morgen den zweiten. Nun wurde sie künstlich beatmet. Ihre Hirnfunktion war noch messbar. Der zuständige Arzt meinte, das würde sichändern, sobald die Maschinen abgeschaltet würden. Wenn Angehörige zu verständigen seien, sollte ich das sofort tun, damit eine Entscheidung getroffen werden könne.
    In Ben sah der Arzt keinen Angehörigen, nur einen Störfaktor. Fünf Minuten wollte er ihm an ihrem Bett einräumen, nur fünf Minuten. Aber er ließ sich nicht wegschicken, betrachtete misstrauisch die vielen Instrumente, vergewisserte sich erneut bei mir: «Fein macht?»
    «Ja», sagte ich wieder. «Das muss sein, damit sie gesund wird.» Ich wollte ihn nicht belügen, aber was hätte ich sonst sagen sollen? Er setzte sich zu ihr auf das Bett. Sofort protestierte eine Schwester: «Das geht nicht, junger Mann.»
    Also stand er wieder auf, aber ihre Hand hielt er fest. Als ich fahren wollte, schüttelte er den Kopf. Ich ließ der Schwester meine Telefonnummer da und ihn
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