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Kunstraub im Städel

Kunstraub im Städel

Titel: Kunstraub im Städel
Autoren: Frank Demant
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Sonntag, 13. Juni
    Nomen est omen. Das trifft nicht immer zu, denn Friedrich Sieger war ein geborener Verlierer. Während seine Mutter Wilhelmine den Tod im Kindbett bevorzugte, ergriff sein Vater Klaus die Flucht, als er den 6-Kilo-Fettsack von der Hebamme das erste Mal in die Hand gedrückt bekam. Bis zu seinem Ableben schürfte sein Erzeuger daraufhin in Alaska nach Gold, mied die Zivilisation und verstand bis zuletzt nicht, wie aus zwei schlanken sportiven Elternteilen etwas dergestalt Unförmiges wie Friedrich entstehen konnte. Um sein Gewissen nicht unnötig zu belasten, ging er sicherheitshalber von einer tragischen Verwechslung im Kreißsaal aus.
    Den begüterten Pflegeeltern muss man zugutehalten, dass sie wirklich sehr bemüht waren. Aber was will man machen mit einem Kind, das bereits in der Krabbelstube zum Trottel vom Dienst mutierte, von Gleichaltrigen wie ein Außerirdischer begafft wurde und obendrein ständig nässte, sabberte und furzte? Dank bester Beziehungen seines Pflegevaters konnte später die drohende Sonderschule noch gerade eben verhindert werden.
    In der Hauptschule im Frankfurter Westen erlebte Friedrich die glücklichsten Jahre seines Lebens. Zwar wurde er auch hier weiterhin gehänselt und verprügelt, doch fand er in Dominik Schuster einen Leidensgenossen, der sogar seine eigene Unansehnlichkeit noch in den Schatten stellte.
    Die Zweckgemeinschaft Sieger/Schuster existierte auf den Tag genau zwanzig Jahre. Sie fand ein jähes Ende, als seinen Kumpel Dominik ein Hitzschlag im Stadionbad ereilte. Dabei hatte er sich, besoffen wie er war, doch extra in den Schatten gelegt. Doch Schatten wandern und überlassen das Feld gerne der prallen Sonne; das ist meist nur eine Frage der Zeit. Der eintreffende Notarzt brauchte die Arbeit erst gar nicht aufzunehmen. Er zuckte leicht mit der Schulter. Mehr nicht.
    Das war vor etwa zwei Jahren gewesen. Seitdem war Fritz, wie er von Dominik zu dessen Lebzeiten liebevoll gerufen wurde, wie sein leiblicher Vater quasi verstummt. Selten sprach er mehr als zehn komplette Sätze die Woche. Seine Kollegen von der Müllabfuhr ließen ihn meistens in Ruhe, waren doch auch sie in der Regel mehr oder weniger gescheiterte Existenzen. Nur an extrem warmen Tagen, wenn sein 250-Pfund-Leib sich nach einem schattigen Plätzchen sehnte, bekam er derbe und mitunter auch bösartige Sprüche jenseits der akzeptablen Geschmacksgrenze zu hören. Doch dafür hatte Fritz sogar Verständnis, immerhin mussten die Kollegen einen Teil seiner Arbeit übernehmen, wollten sie halbwegs pünktlich den Feierabend einläuten. Als Ausgleich übernahm Fritz dann die Getränkekosten – gerade in den Sommermonaten ein nicht unbeträchtlicher Posten.
    Sein einziges Hobby waren Horrorfilme. Fritz Sieger befand sich gerade auf dem Rückweg von seiner Videothek in der Sachsenhäuser Walter-Kolb-Straße. Auf dem Beifahrersitz lagen fünf Filme, darunter auch das legendäre Kettensägenmassaker, sein absoluter Lieblingsfilm. Annähernd hundert Mal hatte er ihn sich bereits angeschaut, doch immer wieder entdeckte er neue interessante Details. Seine Vorfreude auf einen heimeligen Kinonachmittag zu Hause bei heruntergelassenen Rollläden und einem Dutzend Kerzenlichtern war immens. Fast so gewaltig wie die Hitzewelle, die Deutschland derzeit im Griff hatte und die Forstbeamten dazu veranlasste, akute Waldbrandgefahr auszurufen.
    Unaufhaltsam näherte sich Fritz seinem Verderben. Fast die Hälfte des Museumsufers hatte er hinter sich. Linker Hand lag das Städel. Die Ampel stand auf Grün. Trotzdem musste er anhalten, weil einer Radlerin der Picknickkorb vom Gepäckträger gerutscht war und allerlei Gegenstände auf dem Asphalt verstreut lagen. Wegen der laufenden Fußball-WM und weil Sonntag war, befanden sich kaum Leute auf der Straße.
    Als sie alles wieder aufgeklaubt hatte, bedankte sie sich bei ihm für die erwiesene Geduld mit einem Handzeichen. Fritz Sieger fuhr los. Gerade war er dabei, in den zweiten Gang zu schalten, als es passierte. Eine Detonation, die kilometerweit zu hören war, riss das Heck seines achtzehn Jahre alten Ford in Stücke. Der Rest hob etwa einen halben Meter vom Boden ab und knallte entgegen seiner ursprünglichen Fahrtrichtung wieder auf die Straße – ein Mordsspektakel.
    Wie ein Wunder blieb Fritz Sieger noch eine Minute bei Besinnung. Was er sah, hätte selbst gestandenen Mördern die letzten Nerven geraubt. Durch die Staubwolke erblickte er einen Krater mit einem
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