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Hering mit Heiligenschein

Hering mit Heiligenschein

Titel: Hering mit Heiligenschein
Autoren: Claudia Toman
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    Hering mit Heiligenschein
    I n dem Sekundenbruchteil, als der Christbaum in Flammen aufgeht, wünsche ich mir gerade von ganzem Herzen, jemand würde der Welt den Stecker rausziehen. In zwei Tagen, wenn die akute Weihnachtskolik überstanden ist, dann, frühestens dann, bin ich wieder bereit für lebensverlängernde Maßnahmen. Vorher nicht.
    Leider bleibt es neonröhrenhell, während der zu erwartende Tumult ausbricht. Stark geschminkte Frauen quietschen entsetzt, indes Männer mit deutlich erkennbarem Glatzenansatz Halbliterflaschen Evian mit Imponiergehabe auf das brennende Gestrüpp schütten. Ich sehe, wie der Leiter der Presseabteilung hektisch den lebensgroßen Weihnachtsmannaufsteller in Sicherheit bringt, als handelte es sich um den Bundespräsidenten. Der Pappkamerad, durch den man von hinten sein Gesicht stecken kann, ist der Hit der Verlagsweihnachtsfeier. Vor seine Brust hält er nämlich den Flop des Winterprogramms, ein Kochbuch mit englischen Weihnachtsspezialitäten und dem schlagkräftigen Titel »Pudding mit Santa«.
    Ich betrachte andächtig die Bescherung. Schließlich ist ja niemandem aufgefallen, dass es meine Wunderkerze war, die mitten im gemeinschaftlichen »O du Fröhliche«-Singen via Funkenflug den hässlichen Papierengel in Brand gesetzt hat, der, bedruckt mit dem Verlagslogo, das diesjährige Firmenweihnachtsgeschenk war. Kurz nach der Auslieferung hat ein geheimer Wettbewerb begonnen: Wer findet die gemeinste Papierengel-Vernichtungsmethode?
    »Gewonnen!«, sage ich leise und nehme einen Schluck lauwarmen Weißwein.
    Jemand hat nun den Feuerlöscher angeschleppt, der seit gefühlten tausend Jahren draußen im Flur hängt. Zwei beherzte Mitarbeiter vom Vertrieb versuchen, dem Ding ein wenig Schaum zu entlocken.
Katastrophale Mängel im Brandschutz,
denke ich und schaue zu Tamara. Sie steht mit aprikotfarbenen Wangen und scharf gespitzten Lippen mitten im Chaos und sieht zu, wie ihre generalstabsmäßig geplante Betriebsfeier zu Asche zerfällt. Tamara ist die Programmleiterin und verantwortlich für den Haufen Verrückter, die ihre Lebenszeit damit vergeuden, in der Ära der Supermarkt-Fertiggerichte Kochbücher aus aller Welt zu produzieren. Ziemlich erfolglose Kochbücher.
    Tamara wendet sich von den eifrigen Bemühungen männlicher Helden ab, und für einen Moment trifft sich ihr Blick mit meinem.
Åsa Glück,
sagt er,
das ist das letzte Mal, dass du Weihnachten kaputt machst.
was sich nicht auf den brennenden Tannenbaum, sondern auf Santa und die englische Küche bezieht. Denn die Idee, ausgerechnet den kulinarisch zweifelhaften Angelsachsen einen Spitzentitelplatz im heiligen Dezember einzuräumen, die stammt von mir. Folglich bin ich der Grinch, der das Weihnachtsgeschäft geklaut hat. Bereits im Frühjahr habe ich Schiffbruch erlitten mit einem appetitlichen Reiseführer durch Stockholm, die Heimatstadt meiner Mutter, was meinen Status als beste Lektorin des Verlags gefährlich ins Wanken gebracht hat.
    Endlich ist es den schwitzenden Kollegen gelungen, den kümmerlichen Rest des Christbaumes zu löschen. Übrig bleibt ein Haufen qualmender Äste. Kein einziger Papierengel hat das Massaker überlebt. Christoph, mein fleißiger, aber hoffnungslos verträumter Lektoratskollege, kniet auf dem Fußboden und sammelt die Scherben zu Bruch gegangener Gläser ein. Dabei kann man einen Blick auf den Bund seiner Unterhose und seinen Po-Ansatz erhaschen, was bei einem Mann von geschätzten hundertsechzig Kilo kein sehr erotischer Anblick ist. Nicht einmal für einen ausgehungerten Single wie mich.
    Ich seufze und beschließe, dass es an der Zeit ist, nach Hause zu gehen, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippt. Verärgert drehe ich mich um und erwarte, Tobias Andrekas grinsendes Gesicht zu sehen. Er ist ein ziemlich untalentierter Fernsehkoch und B-Prominenter, der dem Verlag dennoch die höchsten Verkaufszahlen beschert. Seine Fans sind hauptsächlich einsame Hausfrauen, die sein schmieriges Wesen anziehend finden und bei seinen Events mit feuchten Augen an seinem penetranten Aftershave schnuppern wie Schüler an Klebstoff.
    Doch es ist nicht Andreka, der mich da leicht benebelt anstarrt. Er hätte in einem weißen Traum aus Tüll und Watte, mit Goldhaar und gigantischen Flügeln auch ziemlich bescheuert ausgesehen. Das Wesen im Engelskostüm hickst und versucht, das Gleichgewicht zu halten, was nicht so einfach ist, denn es schwebt ohne Bodenkontakt etwa zwanzig
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