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Luegenprinzessin

Luegenprinzessin

Titel: Luegenprinzessin
Autoren: Nora Miedler
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heftigen Stoß, dass ich mich mit dem schmerzenden Arm nicht mehr festhalten konnte und vom Felsen stürzte. Im Wasser hatte ich noch viel schlechtere Karten. Es war nicht nur, dass die Schmerzen so unerträglich waren, dass ich mich kaum überwinden konnte, den Arm zu bewegen – das hätte ich notfalls zustande gebracht –, nein, das Hauptproblem war, dass ich den Arm gar nicht bewegen konnte, der Schmerz lähmte ihn. Ängstlich beobachtete ich, wie Vero am Felsen aufstand. Was hatte sie vor? »Hilfe!«, rief ich wieder. Doch das Wasser schluckte meine Stimme. Im nächsten Moment explodierte mein Kopf. Ein Gewicht drückte mich unter Wasser und ich begriff, dass Vero mir mit aller Kraft auf den Kopf gesprungen war. Hilflos strampelte ich mit den Füßen, versuchte, mit der rechten Hand nach Vero zu greifen, doch ihre Oberschenkel klemmten sich um meinen Hals und ich spürte, wie jede Kraft aus mir wich. Solange sie mich so fest umschlungen hielt, würde ich keine Möglichkeit haben, jemals wieder lebend aufzutauchen. Ich wusste, es gab, wenn überhaupt, nur eine einzige winzige Chance und die würde ich nützen. Ich würde nicht zulassen, dass sie mir das Leben raubte. Niemals.
    Ich ließ mich vollkommen fallen, ließ jeden Muskel, jede Anspannung sacken und konzentrierte mich einzig darauf, das bisschen Luft, das ich noch in der Lunge hatte, nicht zu schnell zu verlieren.
    Doch Vero ließ nicht locker. Mich durchzuckte der Gedanke, dass jemand, der auf Nummer sicher geht, natürlich auch noch zudrückt, wenn das Opfer schon längst aufgegeben hat. Meine Lunge begann zu brennen. Der Druck wurde größer, in meinen Ohren sauste es und ich hatte das unbändige Bedürfnis, nach oben zu tauchen, um endlich Luft holen zu können. Doch ich hielt mich zurück. Nur eine Sekunde noch, dachte ich, nur noch eine. In dem Moment, als ich sicher war, dass meine Lunge platzen würde, verminderte Vero den Druck. Das dringende Bedürfnis, endlich nach Luft zu schnappen, verlieh mir sicher zusätzlichen Auftrieb. Wie eine Rakete stieg ich empor, so überraschend für Vero, dass ihre Schenkel von meinen Schultern glitten und sie nach hinten fiel und kopfüber ins Wasser tauchte. Es tat unheimlich weh und gleichzeitig unendlich gut, den ersten tiefen Atemzug zu tun. Danach hechelte ich die Luft unkontrolliert in mich ein. Luft, Luft, Luft, das war das Einzige, was zählte. Deshalb merkte ich auch zu spät, dass Vero wieder an der Oberfläche schwamm. Drohend kamen ihre Hände auf mich zu. Ich wusste, kräftemäßig war ich ihr aufgrund meiner Verletzung klar unterlegen und auch an ein Davonschwimmen war nicht zu denken. Also nützte ich das letzte bisschen Kraft, das ich hatte, das letzte bisschen Zeit, um noch einmal in vollster Lautstärke zu schreien. Mir war, als würde ich eine Antwort auf meinen Schrei hören, wusste aber nicht, ob ich es mir nur einbildete oder es sich um mein eigenes Echo handelte. Veros Hände griffen nach mir, ihre Finger bohrten sich durch den aufgeweichten Verband in die Wunde, die letzten diffusen Umrisse, die ich noch hatte erkennen können, lösten sich auf, bis ich gar nichts mehr sah. Ich spürte, wie sich die Wasserdecke erneut über mir schloss, und diesmal baute sich der Druck in meiner Lunge noch viel schneller auf. Das war das Letzte, das ich wahrnahm, bevor mein Bewusstsein ganz abtauchte.

Epilog
    Wir saßen in meinem Zimmer nebeneinander auf dem Boden, mit dem Rücken gegen mein Bett gelehnt. Felix und ich. Er war zu früh dran gewesen, hatte sich um eine Stunde in der Zeit geirrt. Das sagte er zumindest.
    Wir redeten nicht viel. Das Gefühl der Fassungslosigkeit hatte uns beide wohl noch nicht losgelassen. Heute war die erste Möglichkeit überhaupt, dass wir uns alle treffen konnten. Nach meiner Rettung hatte man mich mit dem Helikopter in die Uniklinik Innsbruck geflogen, während meine Mitschüler in den Bus verfrachtet und zurück nach Hause chauffiert wurden. Vorgestern durfte auch ich endlich wieder nach Hause.
    »Ich kann immer noch nicht glauben, dass es ausgerechnet Mr Bean war, der mich gerettet hat«, durchbrach ich die Stille.
    Ein kurzes Lächeln flackerte in Felix’ Gesicht auf.
    »Jetzt werde ich für immer in seiner Schuld stehen«, prophezeite ich. »Am Ende muss ich aus Dank noch anfangen zu lernen.«
    Felix meinte, immer noch lächelnd: »Keine Angst, der wird viel zu sehr von Schuldgefühlen geplagt, weil er uns nicht geglaubt hat. Auf der Heimfahrt im Bus konnte er sich
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