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Luegenprinzessin

Luegenprinzessin

Titel: Luegenprinzessin
Autoren: Nora Miedler
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    Ich duckte mich hinter die Fliederbüsche und hielt den Atem an, als er auf der anderen Straßenseite aus dem Haustor trat. Mein Herz klopfte fordernd gegen meine Rippen, fast als wollte es sich mit aller Kraft nach draußen boxen. Mit den Fingerspitzen bog ich vorsichtig die Zweige auseinander und saugte jede kleinste Bewegung, die er machte, in mich auf. Wie jeden Morgen würde ich warten, bis er um die erste Ecke gebogen war, um ihm dann vorsichtig zu folgen. Ich liebte diese halbe Minute, die er für die fünfzig Meter vom Haus bis zur Ecke brauchte. Da gehörte er ganz mir, keine andere sah, was ich sah. Meistens steckte er sich seine Stöpsel in die Ohren, manchmal blätterte er auch in einem Heft herum, mit den Lippen lautlos Worte formend, Geschichtszahlen, Vokabeln, mathematische Formeln, Flussnamen, was auch immer. Unter Garantie aber etwas, wovon ich viel zu wenig gelernt hatte – derzeit verhaute ich einen Test nach dem anderen.
    In Hockstellung wanderte ich parallel zu ihm mit, so weit, wie die Büsche mir Schutz boten. Nicht zum ersten Mal hatte ich das absurde Bild vor Augen, wie ich als Busch verkleidet den ganzen Schulweg hinter ihm herhusche.
    In der Nacht hatte es so stark geregnet, dass die Erde unter meinen Converse immer noch schlammig war. Bis zu den Knöcheln sank ich an manchen Stellen ein. Verdammt, warum hatte ich nicht auf meine Mutter gehört und Stiefel angezogen! Jetzt bog er um die Ecke, im selben Moment rief eine empörte Stimme hinter mir: »So ein perverses Gör! Was machst denn da immer hinterm Busch? Na wart, diesmal kommst mir nicht davon!« Ich starrte den alten Mann an, der etwa zehn Meter hinter mir vor einem Hauseingang stand und sich soeben seine Brille auf die Nase schob. Im nächsten Moment zückte er ein Monstrum von Handy. Hastig sprang ich in die Höhe, das heißt, ich wollte in die Höhe springen, der rutschige Untergrund arbeitete aber gegen mich. Zwei Anläufe brauchte es, bis ich mich in der Vertikalen befand. Dann rannte ich, was das Zeug hielt, Schlamm spritzte hoch und beim Überqueren der Straße rammte ich beinahe einen Radfahrer. Super! Jetzt ließ ich bereits zwei fluchende Männer hinter mir! Als ich um die Ecke bog, erblickte ich David, der etwa dreißig Meter vor mir lässig die Straße runterschlenderte und – den Stöpseln sei Dank – nichts von der Schreierei mitbekommen hatte.
    In der Grundschule hatte ich ständig Detektiv gespielt und war auf der Straße wildfremden Leuten nachgeschlichen, viel anders war das jetzt auch nicht. Nur dass ich damals anscheinend noch geschickter im Verstecken war und mich nicht fürs Hinterherspionieren schämen musste. Jawohl, ich schämte mich. Der Opa mit dem Handy hätte sich seinen Kommentar sparen können – ich war sowieso überzeugt davon, dass ich einen Knall hatte.
    Niemand wusste, dass ich in David verliebt war, nicht einmal meine besten Freundinnen. David und ich, wir wären ein Pärchen wie… die Schöne und das Biest. Also der Schöne und das Biest natürlich. Viel zu peinlich, um es zuzugeben. Die Hoffnung hatte ich natürlich trotzdem nicht aufgegeben. Ich sah ja auch nicht direkt aus wie ein Monster, nur hübsch war ich halt auch nicht. Mein Haar war das Einzige, was mir hie und da bewundernde Blicke einbrachte. Vielleicht aber auch nur ver wunderte Blicke, weil es so lang war, dass ich mich draufsetzen konnte. Allerdings war es viel zu dunkel für meinen blassen Teint – ein unglückliches Zusammenspiel aus väterlichen und mütterlichen Genen –, was mir die aufregende Aura einer Wasserleiche einbrachte. Das allein wäre aber gar nicht so schlimm gewesen, immerhin schminkten und färbten sich manche sogar extra auf den Look. Das wirkliche Problem saß in der Mitte meines Gesichts und hatte mir früher immer wieder hochoriginelle Spitznamen wie Pinocchio oder Cleopatra eingebracht. Haha. Aber diese Zeiten waren Gott sei Dank vorbei. In zwei Monaten würde ich endlich sechzehn werden und meine Klassenkameraden wurden ebenfalls älter, auch wenn man es nicht allen anmerkte. Die meisten zumindest waren endlich der gröbsten Spottphase entwachsen, trotzdem war ich unendlich froh, dass ich diese Phase nicht alleine hatte durchstehen müssen, sondern immer Freunde hatte, die mich und meinen Zinken mochten.
    Ich betrachtete Davids Kehrseite. Letzte Woche hatte ich ihn nach seiner Körperlänge gefragt. Knallrot war ich dabei geworden und heilfroh gewesen, dass er sich nicht nach dem Grund meiner
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