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Das Geheimnis des Goldmachers

Das Geheimnis des Goldmachers

Titel: Das Geheimnis des Goldmachers
Autoren: Peter Hereld
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ANNO DOMINI 1234
    Lang, lang
ist’s her …

     
    Die Welt,
damals noch flach wie eine Scheibe, …

    … zersplittert in unzählige
Herzog- und Fürstentümer, ihre Bevölkerung drangsaliert und ausgebeutet von
deren Herrschern, fand im Osten durch die wilden Horden des Mongolenfürsten
Ögedei Khan seine Grenzen und reichte im Westen bis zur iberischen Halbinsel,
auf der die christlichen Heere der Kastilier gerade die letzten Bastionen der
Mauren zurückeroberten.

     
    Reichtum und
Willkür …

    … weltlicher Potentaten wurde
nur noch übertroffen von Einfluss und Geltung klerikaler Amtsträger. Die
Schatzkammern etlicher Bistümer waren praller gefüllt als die der Könige und
nicht selten maßten sich eben jene, die Gottes Werkzeug sein sollten, seine
Pracht und Herrlichkeit an. Andere wiederum, blind in ihrem Eifer, Gott zu
gefallen, machten aus Regenten gehorsame Söldner und zahlten ein fürstliches
Salär, damit diese Armeen aufstellten, um den arabischen Heiden Gottes
Barmherzigkeit zu lehren und die Heilige Stadt Jerusalem zurückzuerobern, alles
im Namen und unter dem Banner des Kreuzes.

     
    In jener Zeit,
in der so mancher Kirchenmann mehr zu sagen hatte als ein Burgherr, die Wissenschaft
einzig und allein der Entwicklung neuer Kriegsapparaturen verpflichtet war,
kleinste Wunden bereits den Tod bedeuten konnten und in der ein voller Magen
mehr wert war als das Leben des Nächsten, in jener Zeit also durchstreiften
zwei Männer das alte Europa, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Der
eine, auf der Flucht und fern seiner geliebten Heimat, gestraft mit der
Gewissheit, sein Vaterland nie wieder betreten zu dürfen, bestens vertraut mit
dem Gedankengut arabischer, griechischer und fernöstlicher Gelehrter und
Philosophen, blitzgescheit, redegewandt und zuweilen, mehr als seiner
Gesundheit zuträglich war, überheblich und stolz.

    Der zweite, in Deutschland
geboren und doch nicht hier zu Haus, da er den Großteil seines Lebens, höchst
unfreiwillig im Übrigen, in der Heimat des anderen verbrachte, vom Gemüt und
bisweilen auch im Umgang mit seinen Zeitgenossen eher von handfesterer Natur,
ein Mann mit einer fast beängstigenden physischen Präsenz und doch im Kern,
trotz seiner ruppigen Art, ein gutherziger Mensch.

     
    Die
vorliegenden Aufzeichnungen beruhen auf uralten Notizen und langen Erzählungen
an kalten, ungemütlichen Winterabenden. Der Vater gab sie an seinen Sohn
weiter, so wie sie ihm von seinem Vater zugetragen wurden, und so setzt sich die
Reihe fort bis in jene Tage des Herrn zwölfhundertvierunddreißig, und sollte
nicht einer von ihnen ein übler Lügenbold oder ein Mann mit großer Fantasie
gewesen sein, so ist alles Folgende wahr und tatsächlich so und nicht anders
geschehen.

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

Montag, der zehnte
Juli
gegen Mittag vor den Toren Hildesheims
     

     

Zwei Wanderer
    »Sommer, sagst
du, das soll ein Sommer sein?« Der Hagere schnaufte verächtlich, während er
sein Lederwams zurechtzupfte, um damit möglichst viel von seinem Beinkleid zu
bedecken. »Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, welcher Gott der wahre
ist, der deine oder meiner, so ist er nun erbracht. Kein Gott würde sein Volk
mit solch einem gemeinen Ulk von einem Sommer quälen.«
    »Jammere nicht! Bald haben wir
Hildesheim erreicht, dort suchen wir uns dann eine Unterkunft. Du wirst
staunen, was für prächtige Kirchen sie dort haben!«, antwortete der Riese und
wrang sich seine langen, dichten Haare aus, während weiter unentwegt dicke
Regentropfen vom aschgrauen Himmel fielen.
    Der Hagere ersparte sich eine
Erwiderung. Freilich, Kirchen bauen konnten sie, doch erschien ihm die Kunst
hiesiger Konstrukteure damit bereits wieder erschöpft. Alle anderen Bauten, die
er in diesem unwirtlichen Land bislang zu Gesicht bekommen hatte, waren bei
Weitem armseliger als die schlichtesten in seiner Heimat. Woher nur, sinnierte
er einmal mehr, nahmen diese ungebildeten Barbaren bloß die Vermessenheit,
seinen Landsleuten ihren Glauben aufzwingen zu wollen?
    Er schüttelte unmerklich seinen
Kopf, doch schon diese sparsame Geste ließ einige Regentropfen an seinem
sorgsam zugeschnürten Hemdkragen vorbei gemächlich den Weg zu seinem Bauchnabel
finden. Ihn fröstelte.
    Sommer – er wagte sich gar nicht
vorzustellen, wie hierzulande wohl der Winter sein mochte.
    Durch den Regenschleier hindurch
konnte er inzwischen vage eine
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