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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten
Autoren: Marian Keyes
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fünfunddreißigjährigen Falschspielerin sie am Mantel zupfte. »He, ich und meine Freundin passen auf euer Auto auf«, versprach sie.
    Ihre Freundin, noch dürrer und kleiner als sie, nickte stumm. Sie sah aus wie ein mißgestimmter Affe.
    »Danke«, sagte Hetty und versuchte sie abzuschütteln. Auf ihrem Gesicht stand das blanke Entsetzen.
    »Wir passen auf, daß ihm nichts passiert«, sagte die verhutzelte Kleine, ohne Hettys Mantel loszulassen. Diesmal klang es eine Spur drohender.
    »Gib ihnen ’n bißchen Geld«, sagte Megan ungeduldig. »Darauf wollen sie hinaus.«
    »Ich bitte dich«, sagte Hetty empört. »Ich denke nicht daran. Das ist glatte Erpressung.«
    »Willst du, daß dein Wagen noch Räder hat, wenn du zurückkommst?« wollte Megan wissen.
    Die Kleine und ihr Affe warteten mit verschränkten Armen geduldig auf das Ende des Palavers. Da jetzt eine vernünftige und allem Anschein nach mit den Gesetzen der Straße vertraute Frau wie Megan die Sache in die Hand genommen hatte, würde das Ergebnis zu ihrer Zufriedenheit ausfallen.
    »Da«, sagte ich und gab der fünfunddreißigjährigen Kleinen ein Pfund. Finster nickend nahm sie es.
    »Können wir jetzt endlich gehen, um uns die Zukunft voraussagen zu lassen?« fragte Megan ungeduldig. Während der Verhandlung mit den Kindern hatte die dicke Meredia feige im Auto gehockt. Erst als sie langsam verschwanden, arbeitete sie sich heraus.
    Kaum sahen die kleinen Satansbraten sie, kamen sie zurückgerannt. In dieser Umgebung tauchte wohl nicht oft eine rothaarige Frau von hundertfünfzehn Kilo auf, die von Kopf bis Fuß in zur Haarfarbe passenden leuchtendroten Pannesamt gehüllt war. Eine solche Gelegenheit verstanden die Kinder zu nützen, bot sie doch für einen Abend kostenlose Unterhaltung und Gelegenheit zu Spott und Hohn.
    Das kreischende Gelächter aus dem Mund dieser Kinderfratzen ließ einem das Blut in den Adern gefrieren. Ihre Kommentare reichten von »Geil! Hast du schon mal so’n fettes Weib gesehen?«, »Geil! Die läuft ja mit Mamis Vorhängen rum!« über »Leck mich! Das ist ja widerlich!« bis hin zu »Saugeil! Wo bleiben die Boote von Greenpeace?«
    Mit blutrotem Gesicht schleppte sich die arme Meredia über die kurze Strecke zu Mrs. Nolans Haustür, während ein ganzer Schwarm hämisch lachender und Beleidigungen ausstoßender Kinder sie teils umtanzte, teils hinter ihr herlief – ganz, als wäre sie der Rattenfänger von Hameln. Es war für sie wohl so etwas wie Karneval oder wie wenn der Zirkus kommt. Hetty, Megan und ich bildeten um Meredia einen schützenden Ring und versuchten halbherzig, die Kinder zu verscheuchen.
    Dann sahen wir Mrs. Nolans Haus. Man konnte es nicht verfehlen.
    Es hatte eine Klinkerfassade, Doppelfenster und vor der Haustür einen kleinen verglasten Windfang. An allen Fenstern hingen mit Spitzen verzierte Stores und kunstvoll geraffte bunte Vorhänge. Auf den Fensterbänken drängte sich allerlei Nippes: Porzellanpferde, gläserne Hunde, Messingkrüge und kleine pelzige Gestalten auf winzigen hölzernen Schaukelstühlchen. Diese Zeichen offenkundigen Wohlstands hoben das Haus von allen anderen in der Nachbarschaft ab. In der Kartenlegerinnen-Zunft schien Mrs. Nolan eine Art Superstar zu sein.
    »Klingel schon«, forderte Hetty Meredia auf.
    »Klingel du«, sagte Meredia.
    »Aber du warst zuerst da«, sagte Hetty.
    »Ich mach’s schon«, seufzte ich und drückte auf den Knopf.
    Als in der Diele die ersten Takte von Greensleaves ertönten, begannen Megan und ich zu kichern. Meredia drehte sich mit wütendem Blick um.
    »Reißt euch gefälligst zusammen!« zischte sie uns zu. »Mrs. Nolan ist Spitze! Sie ist die beste von allen.«
    »Sie kommt, o Gott, sie kommt«, flüsterte Hetty aufgeregt, als hinter der Milchglasscheibe des Windfangs eine schattenhafte Gestalt sichtbar wurde. Hetty kam nicht viel unter Leute.
    »Gott im Himmel, laß dir mal ’n bißchen den Wind der großen Welt um die Nase wehen!« sagte Megan verächtlich.
    Die Tür öffnete sich, und statt einer geheimnisvoll-exotischen, düsteren Frau, der man die übersinnlichen Kräfte schon von weitem ansah, stand da ein mißmutig dreinblickender junger Mann.
    Ein kleines Kind mit schmutzigem Gesicht spähte zwischen seinen Beinen hervor.
    »Ja?« sagte er und musterte uns. Seine Augen weiteten sich leicht entsetzt, als er Meredias Erscheinung mit all ihrem schrillen Rot in sich aufgenommen hatte.
    Keine sagte ein Wort. Mit einem Mal waren wir alle
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