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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten
Autoren: Marian Keyes
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Obwohl sie erst um die Fünfunddreißig war, trug sie entsetzliche Tweedröcke und geblümte Kleider, die verdächtig nach Familienerbstück aussahen. Nie kaufte sie sich etwas Neues zum Anziehen – leider, da es zu den wichtigsten Gemeinschaftserlebnissen der Büroangestellten gehörte, zur Schau zu stellen, was sie nach dem Zahltag beim Sturm auf Principles, einen von Londons besseren Klamottenläden, erbeutet hatten.
    »Hoffentlich verpißt sich die blöde australische Kuh bald«, flüsterte Meredia Hetty zu.
    »Sicher dauert es nicht mehr lange«, beschwichtigte Hetty sie. Dann sagte sie etwas, was man nur aus dem Munde höherer Töchter hört, nämlich »Kopf hoch«.
    »Wann hörst du hier auf?« wandte sich Meredia an Megan.
    »Sobald ich wieder bei Kasse bin, meine Dicke«, antwortete diese.
    Bei ihrer großen Europa-Tour war ihr das Geld ausgegangen. Sowie sie wieder genug zusammen hatte, wollte sie, wie sie uns immer wieder wissen ließ, weiter nach Skandinavien oder Griechenland reisen – vielleicht aber auch in die Pyrenäen oder in den Westen Irlands.
    Bis dahin mußten Hetty und ich die furchterregenden, aber regelmäßigen Streitereien zwischen ihr und Meredia schlichten.
    Diese Feindseligkeit hing meiner festen Überzeugung nach weitgehend damit zusammen, daß die hochgewachsene und braungebrannte Megan im Unterschied zur dicken kleinen Meredia blendend aussah. Die eine beneidete die andere um ihre Schönheit, und wurde von dieser wiederum wegen ihrer Körperfülle verachtet. Wenn Meredia keine Klamotten fand, die ihr paßten, knurrte Megan, statt wie wir anderen mitfühlend zu seufzen: »Mach lieber ’ne Abmagerungskur, statt rumzujammern, alter Fettsack!«
    Diesen Rat beherzigte Meredia nicht, statt dessen sorgte sie dafür, daß Autofahrer auf der Straße vor Schreck das Steuer herumrissen, wo immer sie auftauchte. Sie dachte nicht daran, über ihren beachtlichen Umfang mit Längsstreifen und gedeckten Tönen hinwegzutäuschen, sondern sie unterstrich ihn auch noch bewußt, indem sie unendlich viele Stoffschichten um sich drapierte. Sie steckte die textilen Hektar, die endlosen Meter Samt mit Nadeln fest, verknotete und schlang sie, verankerte sie mit Broschen, verknüpfte sie mit Tüchern und arrangierte das Ganze nach dem Grundsatz, daß es gar nicht bunt genug sein konnte. So leuchteten an ihr Karmesin- und Zinnoberrot, grelles Orange, Feuerrot und Magenta.
    Und erst ihr Haar! Meredia hatte den sonst unter Sozialarbeiterinnen verbreiteten Hang zu Henna.
    »Entweder sie oder ich«, knurrte sie jetzt, während sie rachsüchtig zu Megan hinübersah. Aber das waren nur leere Drohungen. Meredia arbeitete schon ziemlich lange in unserem Büro. Wenn man ihren Worten glaubte, war sie schon ewig da, in Wahrheit waren es rund acht Jahre. Während all der Zeit war es ihr nie gelungen, eine andere Anstellung zu finden, und sie war auch nie befördert worden. Letzteres schob sie verbittert auf den ›Schlankheitsfimmel der Unternehmensleitung‹. Dabei war nicht zu übersehen, daß in unserer Firma eine Unzahl dicklicher Männer auf kürzestem Wege alle herausgehobenen Positionen erreichte.
    Auf jeden Fall gab ich, Schwächling, der ich war, Meredia ohne große Gegenwehr nach. Ich brachte es sogar fertig, mich davon zu überzeugen, daß es gut für mich sei, kein Geld zu haben – es konnte meinem unaufhörlichen Bemühen abzunehmen nur gut tun, daß ich zwei Wochen lang ohne Mittagessen auskommen mußte.
    Außerdem erinnerte mich Meredia an etwas, das ich vergessen hatte.
    »Du hast gerade mit Steven Schluß gemacht«, sagte sie. »Du mußt also sowieso zu einer Wahrsagerin.«
    Zwar gab ich das nicht gern zu, aber eigentlich hatte sie damit recht. Nachdem ich gemerkt hatte, daß Steven nicht der Mann meiner Träume war, konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis ich auf übersinnlichem Wege zu erkennen versuchte, wer mein Traummann sein könnte. So gingen meine Freundinnen und ich die Sache an, auch wenn wir uns dabei hauptsächlich amüsierten und keine von uns einer Wahrsagerin glaubte. Jedenfalls hätten wir das nie zugegeben.
    Armer Steven. Was für eine Enttäuschung er gewesen war, vor allem, wenn man bedenkt, wie verheißungsvoll alles angefangen hatte. Er hatte großartig ausgesehen – jedenfalls in meinen Augen. Er war mir mit seinem eigentlich eher durchschnittlich guten Aussehen, den blonden Locken, der schwarzen Lederhose und der Harley wie ein Adonis vorgekommen. Für mich war er wild,
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