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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten
Autoren: Marian Keyes
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von Mittelschicht-Gehemmtheit befallen – sogar ich. Dabei war ich ein Arbeiterkind.
    Hetty stieß sacht Meredia an, diese stupste Megan mit dem Ellbogen, und Megan stupste mich.
    »Sag was«, flüsterte Hetty.
    »Nein, du«, knurrte Meredia.
    »Nun?« fragte der gereizt wirkende Mann erneut. Es klang nicht besonders einladend.
    »Ist Mrs. Nolan zu Hause?« fragte ich.
    Er warf mir einen argwöhnischen Blick zu und beschloß dann, daß man mir trauen könne.
    »Sie hat zu tun«, knurrte er.
    »Was?« fragte Megan ungeduldig.
    »Sie nimmt ihren Tee«, sagte er.
    »Könnten wir nicht drinnen warten?« fragte ich.
    »Wir sind angemeldet«, unterstützte mich Meredia.
    »Wir hatten einen weiten Weg«, erklärte Hetty.
    »Ein Stern aus dem Osten ist uns vorangezogen«, kicherte Megan von hinten. Alle drei drehten wir uns mit mißbilligendem Blick zu ihr um.
    »’tschuldigung«, murmelte sie.
    Der junge Mann wirkte angesichts der Mißachtung, die man seiner Mutter, Großmutter oder was auch immer Mrs. Nolan für ihn sein mochte, entgegenbrachte, tödlich beleidigt und machte Anstalten, die Tür zu schließen.
    »Bitte nicht«, bat Hetty. »Es tut ihr leid.«
    »Ja, tut es«, sagte Megan munter. Es klang nicht die Spur so, als ob sie es ernst meinte.
    »Na schön«, sagte er widerwillig und ließ uns in die winzige Diele eintreten. Sie bot kaum Platz für uns vier.
    »Warten Sie hier«, sagte er und ging nach nebenan. Dem Rauch, dem Klirren von Teetassen und dem Geruch von Bratfett nach zu urteilen, der uns umwehte, als er die Tür öffnete, war es die Küche.
    So dicht waren die Wände der Diele mit Bildern, Barometern, Wandbehängen und Hufeisen bestückt, daß kaum ein Fleckchen frei blieb. Als sich Meredia kaum merklich umdrehte, fiel das Photo einer sehr großen Familie von der Wand. Sie bückte sich, um es aufzuheben und fegte dabei mit ihrem Hintern zehn weitere Bilder zu Boden.
    Wir mußten ewig lange warten, ohne daß sich jemand um uns kümmerte, während Gesprächsfetzen und Gelächter durch die geschlossene Tür zu uns drangen.
    »Ich komm um vor Hunger«, sagte Megan.
    »Ich auch«, erklärte ich. »Was die wohl essen?«
    »Das ist doch blöd«, sagte Megan. »Kommt, laßt uns gehen.«
    »Wartet bitte noch einen Augenblick«, sagte Meredia. »Sie ist ausgezeichnet, wirklich.«
    Schließlich beendete Mrs. Nolan ihren Nachmittagstee und gesellte sich zu uns. Bei ihrem Anblick überkam mich Enttäuschung  – weder ein rotes Kopftuch noch ein goldener Ohrring war zu sehen.
    Sie trug einen beigefarbenen Pullover, eine Trainingshose und als Krönung Hausschuhe. Und sie war geradezu zwergenhaft! Ich bin wahrhaftig nicht besonders groß, aber sie reichte mir kaum bis zur Hüfte.
    »Wer macht den Anfang?« fragte sie munter und geschäftsmäßig mit Dubliner Zungenschlag.
    Meredia ging als erste mit ihr hinein. Ihr folgte Hetty, und dann ich. Megan wollte bis zum Schluß warten, um zu sehen, ob wir anderen der Ansicht waren, daß sich die Ausgabe lohnte.

3
    D ann war ich an der Reihe. Ich kam kaum weiter als bis zur Tür des Zimmers, das den Nolans als ›gute Stube‹ zu dienen schien, so voll war es mit Möbeln und allerlei Einrichtungsgegenständen. Neben einer riesigen Mahagoni-Anrichte, die sich unter der Last weiterer Nippessachen förmlich bog, stand ein reich verziertes Kamin-Schutzgitter. Wohin das Auge fiel, überall standen Fußbänkchen und Beistelltischchen. Dann fiel mein Blick auf eine mit braunem Samt bezogene dreiteilige Sitzgarnitur, von der noch nicht einmal die durchsichtigen Plastiküberzüge abgenommen waren.
    In einem dieser Sessel saß Mrs. Nolan und bedeutete mir, mich ihr gegenüberzusetzen.
    Während ich mich zu dem mir angebotenen Sessel vorarbeitete, merkte ich, daß ich nervös und aufgeregt wurde. Zwar sah Mrs. Nolan eher wie eine Frau aus, die sich am wohlsten fühlte, wenn sie Hettys Küchenfußboden schrubbte, doch sie mußte sich ihren großartigen Ruf als Wahrsagerin ja irgendwie erworben haben. Was kommt da auf mich zu? überlegte ich. Was sie mir wohl sagen wird?
    »Nehmen Sie Platz, meine Liebe«, sagte sie. Ich setzte mich ganz vorn auf den Rand des plastiküberzogenen Sessels.
    Sie sah mich an. Abschätzend? Voll Weisheit?
    Dann sprach sie. Prophetische Worte? Unheilschwangere Botschaften?
    »Sie haben einen langen Weg hinter sich, meine Liebe«, sagte sie.
    Ich fuhr ein wenig zusammen. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß sie ohne Umschweife zur Sache kommen würde.
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