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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten
Autoren: Marian Keyes
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legte er mir die Hand auf den Schenkel, und beim Fernsehen lag er fast auf mir. Immer machte er sich an mir zu schaffen, streichelte meinen Arm, liebkoste mein Haar oder fuhr mir über den Rücken, bis ich es nicht mehr aushielt und ihn fortstieß.
    Schließlich nannte ich ihn nur noch die Klette, und ganz zum Schluß sagte ich es ihm sogar ins Gesicht.
    Es war so weit gekommen, daß ich mir am liebsten die Haut abgezogen hätte, sobald er mich anfaßte, und der Gedanke, mit ihm ins Bett zu gehen, hatte mir Übelkeit verursacht.
    Eines Tages hatte er gesagt, er würde gern einen riesengroßen Garten und einen Haufen Kinder haben. Das hatte das Faß zum Überlaufen gebracht, und ich hatte auf der Stelle Schluß mit ihm gemacht.
    Mir war völlig unverständlich, wieso ich ihn anfangs so anziehend gefunden hatte, denn inzwischen konnte ich mir auf der ganzen Welt keinen abstoßenderen Mann vorstellen als ihn. Er hatte immer noch das blonde Haar, die Lederhose und das Motorrad, aber darauf fiel ich nicht mehr herein.
    Ich verachtete ihn, weil er mich so sehr mochte und fragte mich, wie er sich mit so wenig zufriedengeben konnte.
    Keine meiner Freundinnen verstand, warum ich mit ihm Schluß gemacht hatte. »Er war doch so nett«, sagte die eine. »Er war doch so gut zu dir«, erklärte eine andere. »Er war doch ein wirklich guter Fang«, empörten sie sich. Darauf gab ich zur Antwort: »War er nicht. Einen guten Fang macht man nicht so einfach.« Er hatte mich enttäuscht.
    Wo ich Respektlosigkeit erwartet hatte, stieß ich auf Ergebenheit. Wo ich Untreue vermutet hatte, war er voll Bindungswillen, und wo ich mit einem Aufruhr der Gefühle gerechnet hatte, stieß ich auf Voraussagbarkeit. Vor allem aber (und das enttäuschte mich am meisten) hatte ich mit einem Wolf gerechnet, und bekommen hatte ich ein Lamm.
    Es nimmt eine Frau ziemlich mit, wenn sich der nette Bursche, den sie wirklich mag, als verlogener Mistkerl entpuppt, der sie nach Strich und Faden betrügt. Aber fast ebenso schlimm ist es, wenn sich der Bursche, den sie für einen unbeständigen Frauenhelden gehalten hat, als unkompliziert und nett erweist.
    Einige Tage lang hatte ich über die Frage nachgegrübelt, wieso ich ausgerechnet die Kerle mochte, die nicht nett zu mir waren. Warum konnte ich nicht die Netten mögen?
    Würde ich jeden Mann verachten, der mich je gut behandelte? War es mein Schicksal, nur solche zu wollen, die mich nicht wollten?
    Ich war mitten in der Nacht aufgewacht und hatte mir Gedanken über meine Selbstachtung gemacht. Warum ging es mir nur gut, wenn man mich schlecht behandelte?
    Dann wurde mir klar, daß der Grundsatz »Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht« schon ziemlich lang Bestand hatte. Ich ergab mich drein – schließlich stellte nicht ich die Regeln auf.
    Wenn nun mein idealer Mann selbstsüchtig, zuverlässig, untreu, anhänglich, liebevoll und unbeständig war, mich auf Händen trug, nie anrief, wenn er es versprochen hatte, mir das Gefühl verschaffte, die wunderbarste Frau im Universum zu sein und zugleich bei all meinen Freundinnen zu landen versuchte? War es meine Schuld, daß ich einen Mann wollte, der mehrere, sich komplett widersprechende Eigenschaften vereinte?

2
    Z wischen dem Ruf einer Wahrsagerin und der Erreichbarkeit ihres Hauses schien eine direkte Beziehung zu bestehen. Allgemein galt die Regel: je abgelegener und abweisender das Anwesen, desto zuverlässiger die Voraussagen.
    Das konnte nur bedeuten, daß Mrs. Nolan einfach erstklassig sein mußte, denn sie wohnte in einem scheußlichen Vorort weit außerhalb Londons. Er war so schlecht zu erreichen, daß wir mit Hettys Wagen hinfuhren.
    »Warum können wir nicht den Bus nehmen?« fragte Megan, als Hetty erklärte, wir müßten uns die Benzinkosten teilen.
    »Da draußen fahren keine Busse mehr«, sagte Meredia unbestimmt.
    »Warum nicht?« wollte Megan wissen.
    »Einfach so«, sagte Meredia.
    »Warum?« Ich war beunruhigt.
    »Es hat ’nen... Zwischenfall... gegeben«, murmelte Meredia. Mehr war aus ihr nicht herauszubekommen.
    Am Montagnachmittag um Punkt fünf standen Megan, Meredia und ich auf der Treppe vor dem Bürogebäude und warteten auf Hetty. Sie holte ihren Wagen, den sie ein paar Kilometer weiter geparkt hatte, weil das mitten in London nicht anders geht, und wir stiegen ein.
    »Laßt uns diesen verwunschenen Ort verlassen«, sagte eine von uns. Ich weiß nicht mehr wer, denn wir sagten das jeden Tag zum Feierabend.
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