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Lucy Sullivan wird heiraten

Lucy Sullivan wird heiraten

Titel: Lucy Sullivan wird heiraten
Autoren: Marian Keyes
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Außerdem hatte sie ins Schwarze getroffen! Tatsächlich war es von meiner Kindheit in der Sozialwohnung in Uxbridge zu meinem gegenwärtigen Leben ein langer Weg gewesen. »Ja«, stimmte ich zögernd zu. Ihre Klarsichtigkeit beeindruckte mich.
    »War der Verkehr schlimm, meine Liebe?«
    »Der was? Äh... ach... der Verkehr? Nein, eigentlich nicht«, brachte ich heraus.
    Ach so. Sie hatte nur geplaudert und noch gar nicht mit dem Kartenlesen angefangen. Wie enttäuschend. Na ja. »Tja, meine Liebe«, seufzte sie. »Wenn die je mit der verdammten Umgehungsstraße fertig werden, wäre das wirklich ein Wunder. Zur Zeit sind die Staus so lang, daß man nachts nicht schlafen kann.«
    »Äh, ja«, sagte ich.
    Irgendwie schien mir eine Unterhaltung über Straßenverkehr und Staus nicht angemessen.
    Dann aber kam sie zur Sache. »Kugel oder Karten?« fragte sie mich.
    »W... wie bitte?«
    »Kugel oder Karten? Die Kristallkugel oder die Tarotkarten?«
    »Ach so! Mal sehen. Was ist der Unterschied?«
    »’n Fünfer.«
    »Nein, ich meinte... Schon gut. Bitte die Karten.«
    »Wie Sie wünschen«, sagte Mrs. Nolan und begann, den Packen mit der Fingerfertigkeit eines Pokerspielers auf einem Mississippidampfer zu mischen.
    »Jetzt Sie, meine Liebe«, sagte sie und gab mir die Karten. »Achten Sie aber darauf, daß sie nicht zu Boden fallen.«
    Wahrscheinlich bedeutet das Unglück, dachte ich fachkundig.
    »Ich hab’s nämlich im Kreuz«, erklärte sie. »Und der Arzt hat mir das Bücken verboten.« Dann forderte sie mich auf: »Stellen Sie sich selbst eine Frage, meine Liebe. Die Karten werden sie Ihnen beantworten. Stellen Sie sie nicht mir, meine Liebe. Ich brauch das nicht zu wissen«, – eine kleine Pause, bedeutungsschwerer Blickkontakt – »meine Liebe.«
    Ich hätte alle möglichen Fragen stellen können, wie beispielsweise, ob man je etwas Entscheidendes gegen den Hunger auf der Welt unternehmen oder ein Mittel gegen Aids finden würde, ob es auf der Welt Frieden geben oder ob man imstande sein würde, das Ozonloch zu reparieren. Aber erstaunlicherweise beschloß ich zu fragen, ob ich irgendwann einen netten Mann kennenlernen würde. Merkwürdig, oder?
    »Haben Sie sich für eine Frage entschieden, meine Liebe?« fragte sie und nahm mir die Karten wieder ab.
    Ich nickte. Mit flinken Fingern verteilte sie Karten aus dem Stapel auf den Tisch. Ich kannte keins der Bilder, fand aber nicht, daß sie besonders vielversprechend aussahen. Viele der abgebildeten Gestalten schienen Schwerter zu tragen, was bestimmt nichts Gutes bedeuten konnte. »Ihre Frage betrifft einen Mann, meine Liebe?« fragte sie. Nicht einmal mich beeindruckte das.
    Immerhin war ich eine junge Frau und hatte nur wenige Sorgen. Na ja, eigentlich waren es ziemlich viele. Aber gewöhnlich geht die durchschnittliche junge Frau ausschließlich aus zwei Gründen zur Wahrsagerin – sie will etwas über ihre Aussichten im Beruf oder über ihr Liebesleben erfahren. Was die Aussichten im Beruf angeht, würde sie die Sache wahrscheinlich selbst in die Hand nehmen – zum Beispiel mit ihrem Chef ins Bett gehen. Also blieb nur noch das Liebesleben. »Ja«, antwortete ich lustlos. »Es betrifft einen Mann.«
    »Sie hatten Unglück in der Liebe, meine Liebe«, sagte sie mitfühlend. Auch davon ließ ich mich nicht beeindrucken.
    Ja, ich hatte Pech in der Liebe gehabt. Aber man zeige mir eine Frau, für die das nicht zutrifft.
    »In Ihrer Vergangenheit gibt es einen blonden Mann, meine Liebe«, sagte sie.
    Vermutlich meinte sie damit Steven. Andererseits, in der Vergangenheit welcher Frau gibt es keinen blonden Mann? »Er war nicht der Richtige für Sie, meine Liebe«, fuhr sie fort.
    »Danke«, sagte ich eine Spur verärgert. Das hatte ich selbst schon gemerkt.
    »Verschwenden Sie keine Tränen an ihn, meine Liebe«, riet sie.
    »Keine Sorge.«
    »Denn es gibt einen anderen, meine Liebe«, fuhr sie fort und schenkte mir ein breites Lächeln.
    »Tatsächlich?« fragte ich entzückt und beugte mich näher zu ihr. Dabei quietschte der Plastiküberzug unter meinen Oberschenkeln. »Jetzt wird es interessant.«
    »Ja«, sagte sie und betrachtete aufmerksam die Karten. »Ich sehe eine Hochzeit.«
    »Wirklich?« fragte ich. »Wann?«
    »Bevor das Laub zum zweiten Mal gefallen ist, meine Liebe.«
    »Wie bitte?«
    »Bevor die vier Jahreszeiten eineinhalbmal um sind«, sagte sie.
    »Entschuldigung, ich versteh immer noch nicht ganz, was Sie meinen«, erklärte ich.
    »In gut
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