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London Boulevard - Kriminalroman

London Boulevard - Kriminalroman

Titel: London Boulevard - Kriminalroman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Room .
    Briony sah tot aus. Bleich wie die Farbe der Verzweiflung. Sie war an ein Beatmungsgerät angeschlossen.
    Ich hielt ihre Hand, und eine Schwester brachte mir einen Stuhl. Sie sagte:
    »Sie können mit ihr reden.«
    »Kann Sie mich hören?«
    »Vielleicht.«
    »Wär mal was Neues.«
    »Wie bitte?«
    »Sie hat mir nie zugehört.«

K urz nach sechs starb sie. Bis zum Morgengrauen hat sie es nicht mehr geschafft. Später nahm mich Patel mit in sein Büro, sagte:
    »Rauchen Sie, wenn Sie möchten.«
    »Danke.«
    »Tut mir unendlich leid.«
    »Wie auch immer.«
    »Ich habe ... etwas für sie empfunden ... ich ...«
    »Ja ... Doc, ich will’s nicht wissen. Okay?«
    »Natürlich.«
    Als die Formulare ausgefüllt waren, fragte der Doc:
    »Soll Sie in Ihrem Familiengrab beerdigt werden?«
    Ich lachte verbittert, sagte:
    »Das Familiengrab ist ein Schuhkarton.«
    »Oh.«
    Er ließ den Kopf hängen. Ich griff in meine Tasche, nahm ein dickes Bündel Scheine heraus, knallte es auf den Tisch und sagte:
    »Verbrennen Sie sie. Macht man das nicht so in Indien? Stellen Sie sich die Asche auf den Kaminsims, dann gehört sie endlich Ihnen.«
    Als ich ging, fragte er:
    »Was wird aus ihrem kleinen Hund?«
    »Der hat den Kopf verloren, liegt wohl in der Familie.«
    Am Empfang rief eine Schwester:
    »Mr. Mitchell?«
    »Ja?«
    »Tut mir sehr leid.«
    »Na klar.«
    »Möchten Sie ihren Regenmantel mitnehmen?«
    »Was?«
    »Sie hatte einen Regenmantel an ... möchten Sie den mitnehmen?«
    Ich sah sie lange an, sagte:
    »Sie hatte ungefähr Ihre Statur, behalten Sie ihn.«
    Ich wollte gerade gehen, als sie sagte:
    »Ist einer von Gant.«
    »Was?«
    »Der Mantel, der ist von Gant, ein amerikanisches Label - eine sehr teure Marke.«
    Ich kam nicht klar damit, winkte abweisend. Draußen versuchte ich, mir eine Zigarette anzuzünden. Meine Hände tanzten einen Fandango. Ich warf die Kippe weg, ging zum Wagen.
    Vielleicht lag es an den Ereignissen der vergangenen Tage, oder vielmehr der vergangenen Wochen, verflucht, oder am Dope, am Alk oder am Schock über Brionys Tod. Vielleicht bin ich auch einfach nur ein blödes Arschgesicht.
    Jedenfalls vergaß ich zwei ganz entscheidende Fragen zu stellen:
    (1) Wer hatte Briony gefunden?
    (2) Wer hatte sie ins Krankenhaus gebracht?
    Nein, ich wollte keinen großen Schaden anrichten. Einfach nur den Nächstbesten dafür büßen lassen, einfach um mich schlagen. Der Uniformierte kam mit langen Schritten heraus. Ich konzentrierte mich auf seine speckige Hose. Ein Spiegel seiner schwarzen Seele. Die Kunde von der wundersamen Erfindung der chemischen Reinigung war noch nicht zu ihm durchgedrungen. Er verschränkte die Arme, sagte nichts. Gut, dachte ich. Leck mich am Arsch.
    Ich erreichte den BMW. In den Kotflügel war in riesigen Buchstaben das Wort
    WICKSER
    gekratzt.
    Ich schnellte herum, schrie:
    »Sie wollen Sicherheitsbeamter sein?«
    »Warum nicht? Sie halten sich doch auch für einen Arzt.«
    Nackte blanke Wut durchfuhr mich. Was mich besonders zornig machte, war der Rechtschreibfehler. Ich fragte:
    »Und Sie haben natürlich keine Ahnung, wer das war.«
    Er grinste mich breit an, sagte:
    »Nö.«
    Dann verflog die Wut. Es war mir egal. Ich stieg in den Wagen, fuhr weg. Ich sehe sein Gesicht noch vor mir, bestürzt darüber, dass ich nicht durchgedreht war. Auch ich war deswegen bestürzt.
    Den Rest des Tages geisterte ich durch die Pubs im Südosten Londons. Ich trank, meldete mich bei niemandem.
    Später in Holland Park schlief ich in meinen Klamotten ein. Wachte davon auf, dass mir die Schauspielerin einen blies. Sie hielt inne, sagte:
    »Mach dir keine Sorgen, Darling, wir haben es fast geschafft.«
    In dem Moment dachte ich, sie meinte, mich zum Höhepunkt zu bringen. Doch wie in fast allen anderen Belangen lag ich auch diesmal hoffnungslos daneben.

A m nächsten Morgen rasierte ich mich, duschte und zog frische Klamotten an. Fühlte mich sauberer, wenn auch nicht besser. Als ich mir gerade eine doppelte Ladung Nikotin und Koffein verpasste, klingelte das Telefon. Ich sagte:
    »Ja?«
    »Mitch.«
    »Jeff, bist du’s?«
    »Ja, hör zu, mein Freund, das mit Bri tut mir wahnsinnig leid.«
    »Danke.«
    »Hör zu, ich muss dich sprechen.«
    »Okay.«
    »Acht Uhr heute Abend im Charlie Chaplin.«
    »Ich werde da sein.«
    Ich legte auf, dachte: »War da Gereiztheit in seiner Stimme?«
    Aber ich verscheuchte den Gedanken, nein, nicht Jeff ... der war mein Kumpel. Scheiße, wir kannten uns schon
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