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London Boulevard - Kriminalroman

London Boulevard - Kriminalroman

Titel: London Boulevard - Kriminalroman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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herunterlief. Ich fragte:
    »Woher kommt der?«
    Ich hörte sie lachen und dann sagen:
    »Das ist so typisch irisch.«
    »Was?«
    »Eine Frage mit einer Frage zu beantworten.«
    »Ach.«
    »Er stammt aus Galway, wo auch der Claddagh-Ring herkommt. Ist das nicht seltsam?«
    Ich fand es absolut gruselig.
    Passend zum Irland-Motto spielten die Fureys »Leaving Nancy«, und wir liebten uns heiß und länderübergreifend. Sie fragte:
    »Liebst du mich?«
    »Ich bin kurz davor.«
    »Willst du mich heiraten?«
    »Würde ich sagen.«
    »Wann?«
    »So bald wie möglich.«
    Sie setzte sich auf.
    »Oh Gott, meinst du das ernst?«
    »Ja, klar.«
    Sie sprang aus dem Bett und kam mit Champagner wieder, sagte:
    »Weißt du, wir wollten doch Black Velvet trinken.«
    »Ja, und?«
    Sie ahmte mich perfekt nach, sagte:
    »Scheiß aufs Guinness.«
    Ich war so nah am Glück, wie ich nur sein konnte. Das heißt, ziemlich nah. Ich versuchte, einen breiten irischen Akzent aufzusetzen, fragte:
    »Willst du eine große Hochzeit?«
    »Eine schnelle.«
    Die Liebe oder das, was nebenan wohnt, muss mich selbstsüchtig, leichtsinnig oder schlicht zum Arschloch gemacht haben. Glaube ich jedenfalls ... ich verdrängte die Tatsache, dass ich mich nicht um Briony gekümmert hatte. Nicht einmal angerufen.
    Zwei Tage später lag ich in Holland Park im Tiefschlaf. Das Telefon klingelte eine Weile, bis es mich aus dem Schlaf riss. Endlich nahm ich den Hörer ab, murmelte:
    »Was?«
    »Mr. Mitchell?«
    »Ja.«
    »Hier ist Dr. Patel.«
    »Wer ...? Oh ja ... Mann, wie spät ist es?«
    »Halb drei ... das ist ein Notfall ... es geht um Briony.«
    Ich setzte mich auf.
    »Geht’s ihr gut?«
    »Sie hat anscheinend eine Überdosis genommen.«
    »Anscheinend? Raten Sie ... oder was?«
    »Ich tue, was ich kann, Mr. Mitchell.«
    »Ja, ja, bin schon unterwegs.«
    Ich dachte: »Die beste Gelegenheit, den neuen BMW auszuprobieren.« Ich dachte außerdem, dass er auf keinen Fall wirklich rot sein würde. Nicht mal Lillian Palmer konnte sich mit einem roten BMW blicken lassen.
    War er aber doch. Ein beschissenes Knallrot.
    Na ja, wenigstens war es draußen dunkel. Konnte also kaum auffallen, oder? Glitt an die Ampel in Notting Hill Gate heran. Die Fahrt war traumhaft. Als ich wartete, bis es grün wurde, hielt ein blauer Mazda neben mir. Vollbesetzt mit Brothers, Rap dröhnte heraus. Meine Scheibe war unten, der Fahrer musterte mich, sagte:
    »Bro, das ist voll die krasse Farbe.« Ich nickte. Er reichte mir einen Joint rüber, sagte: »Wahnsinnskarre, Alter, du hast es voll drauf.«
    Ich nahm den Joint, inhalierte tief. Die Ampel schaltete auf grün, und der Fahrer ließ den Motor aufheulen, sagte:
    »Ohren steif, Meister.«
    Das Dope wirkte, und die Sicht verschwamm. Fast hätte ich im Kreisverkehr an Elephant and Castle einen Radfahrer überfahren. Er schrie Obszönitäten, und ich antwortete:
    »Bleib cool, Bruder.«
    Als ich im St. Thomas ankam, parkte ich auf einem der Plätze, die Ärzten vorbehalten sind. Ein Uniformierter kam auf mich zugestürzt und schrie:
    »Hey!«
    »Ja, bitte?«
    »Da ist für Ärzte reserviert.«
    »Ich bin Arzt.«
    »Was?«
    »Wie viel rauchen Sie pro Tag? Du lieber Gott, Mann, sind Sie blass, wann haben Sie zum letzten Mal ein EKG machen lassen?«
    »Ich ...«
    »Und streichen Sie die Burger von Ihrem Speiseplan, sonst bleiben Ihnen keine sechs Monate mehr.«
    Ich marschierte an ihm vorbei. Was sich durch das Dope allerdings eher anfühlte, als würde ich sanft schweben.
    Draußen vor der Intensivstation traf ich Patel. Er gab mir nicht die Hand, sondern begrüßte mich mit einem Vorwurf:
    »Sie sind stoned!«
    »Na und?«
    »Das scheint mir kaum angemessen.«
    »Ist Briony bei Bewusstsein?«
    »Nein.«
    »Also, was für einen scheiß Unterschied macht es dann?«
    Erst jetzt merkte ich, was für eine ungeheure Wut in mir steckte. Das alte Syndrom, das die Überbringer schlechter Nachrichten das Leben kostet. Er sagte:
    »Wir haben ihr den Magen ausgepumpt, sie hat neunundsiebzig Paracetamol geschluckt.«
    »Die haben Sie gezählt, oder was?«
    Meine Spucke landete auf seinem weißen Kittel, die Hände hatte ich zu Fäusten geballt. Zwei Sekunden noch, und ich würde auf ihn einprügeln. Er wich zurück, fragte: »Möchten Sie sie sehen?«
    »Dreimal dürfen Sie raten.«
    Ich musste mich für die Intensivstation bereitmachen:
    Kittel
    Mundschutz
    Überzieher für die Schuhe.
    Ich kam mir vor wie ein unerwünschter Statist bei Emergency
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