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Wenn Werwolf-Pranken streicheln

Wenn Werwolf-Pranken streicheln

Titel: Wenn Werwolf-Pranken streicheln
Autoren: Jason Dark
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Bleich und dennoch leuchtend stand er wie ein alles überwachendes Auge am Himmel und schickte seine geisterhaften Strahlen der Erde entgegen. Der Vollmond!
    Was war nicht alles über ihn geschrieben und geredet worden! In fast allen Religionen hatte er eine tragende Rolle gespielt und spielte sie auch heute noch.
    Bei den Germanen und Arabern, bei Kopten, Ägyptern und Persern, bei den Hindus und den Chinesen. Sie alle glaubten an seine Kraft, die auch, besonders bei Vollmond, auf Menschen übergehen sollte. Doch nicht nur Menschen hatten sich mit ihm beschäftigt. Auch die andere, die dunkle Seite der Welt — die Dämonen. Vampire und Werwölfe heulten oder starrten ihn an. Durch seine Strahlen bekamen sie die Kraft, um in der Nacht ihre schrecklichen Untaten zu begehen.
    Seit altersher hatten sie sich nach dem Vollmond gerichtet. Wenn er schien und sein bleiches Licht spinnennetzgleich über düstere Wälder strich, erwachte in einsamen Tälern oft genug das Grauen. Dann waren die schrillen Schreie der Vampire ebenso zu vernehmen wie die heulenden Klagelaute der Werwölfe, wenn sie mit dumpf klingenden Schritten über den Boden stampften und nächtliche Raubzüge durchführten.
    Der Vollmond lockte!
    Er wurde gehaßt und geliebt. Zu den letzteren Personen gehörte auch Gwendolyn Harper, kurz Gwen genannt. Ein blondes, neunjähriges Mädchen, das sich gern im Licht des Mondes badete. Wenn der Erdtrabant am Himmel stand, wurde Gwen innerlich aufgewühlt und von einer Unrast getrieben, die sie selbst nicht erklären konnte. Nichts hielt sie mehr in ihrem Zimmer, das im ersten Stock einer alten Villa lag, die wiederum von einem an manchen Stellen verwilderten Park umgeben wurde.
    Auch in dieser Nacht schien der Vollmond in ihr Zimmer. Sie hatte nach dem Schlafengehen das Fenster bewußt nicht geschlossen. Nichts sollte den Schein des Mondes aufhalten oder ablenken können. Sie wollte ihn ganz. Noch lag sie im Bett, aber ihr Blick fiel auf das doppelflügelige Fenster. Beide Seiten standen offen. Davor hing die dünne, helle Gardine, die bis zum Boden reichte.
    Der Nachtwind wehte in den Raum. Er spielte mit dem Stoff, ließ ihn tanzen und wehte ihn in das Zimmer hinein wie eine Wolke aus Geistern. Im gelblichen Schein wirkte der Stoff noch bleicher, als er ohnehin schon war, doch darüber freute sich Gwen. Sie wußte jetzt, daß sie auf sie warteten.
    Niemand ahnte davon. Sie hatte die Treffen stets für sich behalten, aber sie war fest entschlossen, etwas zu verraten. Die Chance würde bald kommen, vielleicht schon in den nächsten Tagen.
    Gelassen schwang sie ihre Beine aus dem Bett und schlüpfte in die bereitstehenden Pantoffeln. Sie sahen aus wie Ballettschuhe und besaßen eine rutschfeste Sohle.
    Gwen trug ein dünnes Nachthemd. Auf dem hellen Stoff zeichneten sich gedruckte Comicfiguren ab. Von Mickey Mouse bis zu Robin Hood und zur Biene Maja waren alle lustigen Figuren versammelt. Da es draußen kühl war, griff sie zu einem neben dem Bett hängenden Bademantel und streifte ihn über.
    Dann erst bewegte sie sich auf das geöffnete Fenster zu und schaufelte mit ihren kleinen Händen die Gardine zur Seite, weil diese sie behinderte.
    Endlich konnte sie an die Fensterbank gelangen. Mit beiden Händen stützte sie sich auf dem schmalen Innenbrett ab, beugte sich nach vorn und schaute in den Garten. Ihr Zimmer lag an einem der beiden Seiteneingänge, wo ebenfalls eine Lampe brannte, deren Licht sich mit der Leuchtkraft des Mondes vermischte.
    Es schien auch auf die schmale Treppe, die zur Haustür führte. Aber durch diese Tür wollte Gwen nicht gehen. Ihre nächtlichen Ausflüge sollten geheim bleiben. Wenigstens dieser noch… Trotz ihrer neun Jahre war sie sehr gewitzt. Um das Haus verlassen zu können, brauchte sie keine Treppe und keine Tür. Ihr reichte das Fenster und der Bewuchs, der die alte Mauer an dieser Seite des großen Hauses fast zudeckte.
    Efeu und andere Ranken waren so ineinander verschlungen, daß vom eigentlichen Mauerwerk wirklich nichts mehr zu sehen war. Sie bildeten ein Gitter, sie krallten sich in den alten Steinen und im Verputz fest und verdeckten damit so manchen Gegenstand, der an die Mauer gelehnt worden war, wie die Leiter, zum Beispiel, die Gwen für ihre nächtlichen Ausgänge benutzte.
    Noch kletterte sie nicht aus dem Fenster. Sie ließ ihren Blick in den nächtlichen Garten wandern, der aussah, wie von einem Maler geschaffen.
    Ein Bild unter freiem Himmel. Mit viel Schatten,
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