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Wenn Werwolf-Pranken streicheln

Wenn Werwolf-Pranken streicheln

Titel: Wenn Werwolf-Pranken streicheln
Autoren: Jason Dark
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daß sie einmal ihre beiden Freunde verpaßte.
    Die Minuten verrannen.
    Nach wie vor stand der blasse Mond am Himmel und ließ mit seinem Licht auch nicht den kleinen Pavillon aus. Er leuchtete ihn an, gab ihm einen kalten Glanz, und manch blanke Stellen draußen wirkten wie ein matter Spiegel.
    Noch kamen sie nicht…
    Dann aber - Gwen wußte selbst nicht, wieviel Zeit vergangen war - hörte sie etwas.
    Erst war es ein Rascheln, als würde sich draußen jemand bewegen, der sehr vorsichtig war, um nicht gehört zu werden. Das Rascheln blieb, nur die Richtung änderte sich, es erklang in Fensternähe, und es wurde abgelöst von dem Laut, auf den Gwen so lange gewartet hatte. Ein leises, unheimlich klingendes und gänsehauterzeugendes Heulen… Für Gwen aber genau das Richtige. Sie zuckte nur einmal kurz zusammen, so als hätte sie genau verstanden, was das Heulen zu bedeuten hatte. Dann drückte sie sich von der Bank in die Höhe. Das Heulen verstummte mit einem letzten klagenden Laut. Gwen aber wußte, daß diese Nachricht allein ihr gegolten hatte und keinem anderen. Es war ihr Geheimnis, nur nicht mehr allzu lange, sie würde es schon bald lüften und der Welt erzählen, wie ungewöhnlich und schön es sein konnte, diejenigen zum Freund zu haben, die von den übrigen Menschen abgelehnt wurden.
    Sie wartete.
    Ihr Herz klopfte im Rhythmus der ablaufenden Sekunden, und sie hörte nur ihren eigenen Atem. Dann auch die Schritte!
    Sie waren schleichend und schleifend, als sie um das Haus herumschlichen. Gwen schaute nicht zur Tür, ihr Blick war allein auf das Fenster gerichtet. Einer dieser Ausschnitte verdunkelte sich. Dort erschien ein Gesicht, nein, eine Fratze.
    Ein Maul, vorgestreckt, leicht geöffnet, so daß helle, gelblichweiße Zahnreihen schimmerten. Darüber sah sie, wie aus der Dunkelheit des Gesichts geschnitten, ein Augenpaar, das in einem kalten Gelb leuchtete.
    Raubtieraugen…
    Sie stand unbeweglich, aber über das Gesicht des neunjährigen Mädchens glitt ein Lächeln. Es war ein Lächeln der Geborgenheit. Man sah es Gwen an, daß sie sich wohl fühlte. Dazu trug auch das heimliche Leuchten in ihren blauen Augen bei.
    Der Kopf im Fenster bewegte sich. Er nickte ihr zu zum Zeichen, daß er ebenfalls einverstanden war.
    Gwen drehte sich um. Sie wußte, daß auch der zweite erschienen war, und sie schaute zum offenen Eingang des Pavillons hin. Da stand er. Hochaufgerichtet, den Kopf witternd vorgeschoben und mit gesträubtem Fell. Er setzte sich langsam in Bewegung, betrat die Düsternis des Pavillons und geriet in den durch das Fenster fallenden Mondschein, der ihn streichelte, so daß sich die Bestie noch mehr reckte und fast mit dem Schädel gegen die Decke gestoßen wäre.
    Gwen Harper stand direkt vor ihr. Im Gegensatz zu ihr wirkte sie zwergenhaft klein. Sie rührte sich auch nicht, als die Bestie die Arme ausstreckte. Wie eine Puppe, aber sehr zart und vorsichtig hob sie das Kind an und trug es auf den Armen.
    Niemand hätte einem gefährlichen Werwolf diese Zärtlichkeit zugetraut. Behutsam wie eine Mutter ging sie mit Gwen um, die einen Arm um den Hals der Bestie geschlungen hatte.
    Sie trug das Kind zur Bank und legte es darauf nieder. Gwen paßte gerade noch auf die harte Unterlage. Sie streckte sich aus und schaute zu, wie der Werwolf vor ihr kniete.
    Auch der zweite kam durch den Eingang. Er hatte nicht länger nur zuschauen wollen. Er strich an seinem Artgenossen vorbei und baute sich hinter der Bank auf, wo er auch stehenblieb, den Werwolfschädel senkte und seine Pranken auf die Rückenlehne legte. Dabei öffnete er sein großes Maul, zeigte die Reißzähne, wobei die Augen wie zwei kalte Sterne funkelten.
    »Ja!« flüsterte Gwen. »Ja, Großvater und Großmutter. Ich bitte euch. Macht es. Ich fühlte mich so wohl, ich brauche es. Lange habe ich gewartet, aber jetzt wird der Mond wieder eine Woche voll scheinen. Da könnt ihr mich jeden Abend und jede Nacht besuchen, bis wir wieder für längere Zeit Abschied nehmen müssen.«
    Aufzufordern brauchte sie die Werwölfe nicht, die beiden wußten genau, was sie zu tun hatten. Sie beugten sich vor und begannen damit, das Mädchen, ihre Enkelin, zu streicheln.
    Wie zärtlich sie sein konnten…
    Mörderische Werwolfspranken wurden zu verwöhnenden Händen, die über das Gesicht der Kleinen glitten. Gwen hielt die Augen geschlossen. Sie genoß diese Zärtlichkeiten sehr.
    »Es ist wunderschön«, flüsterte sie. »Niemand streichelt mich sonst.
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