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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee
Autoren: Katrin Rohde
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Glas, hinter dem sich ihr Gesicht schützend verbarg. Wie sehr wünschte er sich, ihr unbeschwertes Lachen zu hören. Wie es ihm fehlte.
    Vor zwei Tagen hatte Paula sich bei ihm kurz gemeldet und mehr Bedenkzeit ausgebeten. Ihm war das Herz in die Hose gerutscht, denn sie drückte sich sehr vage aus. „Ich brauche ein paar Tage, um mit mir ins Reine zu kommen, ich melde mich dann bei dir, ja?“ Er hatte über diesen Satz endlos gegrübelt, ihn in verschiedenster Weise gedeutet und letztendlich geschlussfolgert, dass er noch weniger wusste, als zuvor. Er war ratlos, er wusste nicht, was in ihr vorging, worüber sie sich klar werden musste. Schweren Herzens hielt er sich an ihren Wunsch und meldete sich nicht bei ihr. Das Warten auf ihren Anruf machte ihn fast krank, er schlief schlecht und aß so gut wie nichts. Er sah bestimmt wie der Tod auf Latschen aus, dachte er mit einer Portion Galgenhumor. Nicht besonders passend für einen Arzt.
    Wenn er es gar nicht aushielt, rief er bei Luise und Walter an, um sich aufbauen zu lassen. Sie redeten ihm gut zu und flehten ihn förmlich an, viel Geduld mit Paula zu haben. Denn immerhin sei er der Richtige für sie und der richtige Schwiegersohn für sie selbst. Das hatte tatsächlich Walter gesagt, der ihn am Anfang seiner Beziehung zu Paula hart auf die Probe gestellt hatte.
    Er seufzte tief. Wenn er die Arztpraxis nicht hätte und damit automatisch viel um die Ohren, wäre er vermutlich durchgedreht. Bei dem Gedanken an seine Arztpraxis fiel ihm auf, dass seit ein paar Minuten kein neuer Patient in sein Sprechzimmer getreten war. Ein Blick auf die Uhr an der Wand verriet ihm, dass es gerade einmal 17:00 Uhr war. Vielleicht hielt das schöne Wetter die Menschen davon ab, krank zu sein, sinnierte er über das Ausbleiben von hilfsbedürftigen Menschen. Der Sommer neigte sich langsam dem Ende zu, die Menschen spürten es und genossen jeden schönen Sommertag, der sich ihnen bot.
    Steffen drückte auf die Sprechtaste seiner Telefonanlage.
    „Sag mal, Monika?“, setzte er sich mit seiner Sprechstundenhilfe am Empfang in Verbindung, „sind denn heute keine Patienten mehr da?“
    „Ähm, nicht direkt.“ Monika wirkte unkonzentriert und im Hintergrund raschelte es laut. „Aber, es ist so, also, tja, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Vielleicht kommst du besser mal nach vorne.“ Ein Knacken beendete die Verbindung.
    Stirnrunzelnd verließ Steffen das Zimmer und schritt neugierig die wenigen Meter zum hohen Tresen. Er entdeckte Monika nicht sofort, denn ein großer Blumenstrauß versperrte ihm die Sicht. Er schob die Vase zur Seite und sah seine Mitarbeiterin verwirrt an. „Ich wusste gar nicht, dass dein Bernd immer noch so in dich verliebt ist und dir Blumen zur Arbeit schickt.“
    Monika schüttelte energisch den Kopf. „Die sind nicht von Bernd. Wenn er mir Blumen schicken würde, würde ich sofort misstrauisch werden, weil er dann etwas angestellt hat.“ Monika amüsierte sich kurzweilig über ihren Chef, ehe sie schlagartig ernst wurde. „Die Blumen sind für uns Praxisangestellten. Als kleine Entschuldigung für die Unannehmlichkeiten der letzten Tage.“
    „Ich verstehe nicht.“ Steffen stand auf der Leitung und kniff die Augen zusammen. „Welche Unannehmlichkeiten?“
    Monika hob seufzend die Schultern, wies mit dem Kopf richtungsweisend zum Wartezimmer. „Du hast noch eine Patientin spezieller Art dort sitzen.“
    „Monika, du sprichst in Rätseln. Was um Himmels Willen meinst du damit … Monika!“
    Monika ließ ihn ungerührt stehen und eilte auf das Labor zu. „Ich habe noch einiges zu erledigen, wenn du mich entschuldigst“, rief sie und verschwand.
    „Was ist denn hier los?“ Verwundert blickte er sich in der Arztpraxis um, ob jetzt alle durchgedreht seien.
    Sein Blick wanderte zum Wartezimmer, hinter dem sich das Geheimnis des Blumenstraußes und des rätselhaften Verhaltens seiner Arzthelferinnen befand. Zielstrebig ging er zunächst auf die Tür zu, verlangsamte nachdenklich seine Schritte und wurde unsicher. Ein Verdacht stieg in ihm auf, als er die angelehnte Tür zaghaft aufdrückte. Das Wartezimmer war leer bis auf einen Platz. Dort saß ein großes Häufchen Elend, zusammengekauert auf einem Stuhl und nestelte mit den Fingern an einer überdimensionalen Einkaufstasche, die am Boden stand.
    „Paula“, rief Steffen überrascht aus und hielt sich am Türgriff fest. Seine weichen Knie schienen die Last seines Körpers nicht mehr tragen
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