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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee
Autoren: Katrin Rohde
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belegte ihren Sitz. Der Bus fuhr an, der Mann betrachtete sie skeptisch im Spiegel, die Fragezeichen standen ihm auf die Stirn geschrieben.
    Paula erwiderte den Blick und zuckte mit den Achseln. „Sie fragen sich bestimmt, warum ich mitten in der Nacht mit Ihnen durch die Gegend fahre, oder?“
    Er blieb an einer roten Ampel stehen, das grelle Licht ließ sein rundes Gesicht rötlich leuchten. „Sicherlich frage ich mich das. Gibt es keinen besseren Ort auf dieser Welt, als in einem Bus immer im Kreis zu fahren?“
    „Vermutlich gibt es tausend bessere Orte. Für mich im Moment aber nicht.“
    „Möchten Sie darüber reden?“ Die Ampel schaltete auf grün und er fuhr an.
    „Ich denke nicht, nein.“ Sie grübelte einen Moment. „Darf ich Sie etwas fragen? Etwas sehr persönliches?“ Hoffnungsvoll sah sie ihn an.
    „Mal schauen, um welche Frage es sich dreht.“
    „Sie haben vorhin gesagt, Ihre Frau wäre gestorben, vor fünf Jahren. Das muss doch schwer gewesen sein, oder?“
    Sein Blick blieb starr nach vorne gerichtet, während er mit dem Kopf nickte. „Das war es. Verdammt hart. Ich habe meine Frau geliebt, auch wenn wir die eine oder andere Reiberei hatten. Sie starb an Krebs. Eine furchtbare Krankheit. In den ersten Monaten nach ihrem Tod habe ich nur funktioniert. Ich lief wie ein Roboter herum und war froh, jeden Tag überstanden zu haben. Und dann den nächsten und so weiter. Es verheilt nie richtig, aber im Laufe der Zeit wurde es erträglicher. Und ich habe die Kraft gefunden, mich neu zu verlieben. Hätte mir das jemand vor fünf Jahren gesagt, ich hätte nie daran geglaubt.“
    Er warf einen kurzen Blick in den Spiegel und bemerkte, wie Paula grübelte. „Fragen Sie ruhig. Sie sehen so aus, als ob Sie noch eine Menge Fragen haben“, ermutigte er sie.
    „Hmmm, ich will nicht zu aufdringlich sein.“
    Er wiegelte ab. „Wir kennen uns doch gar nicht. Vermutlich werden Sie nie wieder mit mir Bus fahren. Was macht das schon, wenn wir uns unterhalten. Ich bin übrigens Wilhelm.“
    „Paula.“ Sie brachte ein Lächeln zu Stande. „Ist schon komisch, dass ich mit dir reden kann. Mit meiner Familie möchte ich nicht. Alle meinen es gut und so.“
    „Ein Todesfall in der Familie?“
    „Familie nicht direkt. Eine Nachbarin aus dem Haus. Magarete. Ich habe sie sehr gerne gemocht. Mir war so, als ob wir Seelenverwandte wären, schwer zu erklären.“ Über Paulas Auge zuckte nervös ein Muskel. „Magarete hat sich einfach zum Sterben hingelegt, ist eingeschlafen und das war es.“ Ein dicker Kloß saß ihr im Hals, als sie verstummte.
    Wilhelm hielt an der nächsten Haltestelle, an der zwei offensichtlich betrunkene Jugendliche zustiegen. Sie hielten schwankend ihre Monatskarten hoch und verzogen sich in die hinterste Ecke des Busses. Wilhelm behielt sie per Videoüberwachung im Auge, während er das Gespräch mit Paula wiederaufnahm. „Sie ist eingeschlafen und gestorben? Mit Absicht? Davon habe ich noch nie gehört. Welchen Grund hatte sie?“ Wilhelm runzelte die Stirn, es fiel ihm beileibe keiner ein.
    „Ach, das ist eine lange Geschichte. Verkürzt war es so, dass sie sich in jungen Jahren verliebte, diese große Liebe verschwand und sie heiratete einen anderen. Er starb viele, viele Jahre später, dann tauchte die alte Jugendliebe wieder auf. Sie verbrachten viele wunderbare Monate zusammen, ehe auch er starb.“
    „Das erklärt einiges. Ich konnte mir schwer vorstellen, warum diese Frau freiwillig diese schöne Welt verlassen wollte. Wie alt war Magarete?“
    „Fünfundachtzig.“
    „Dann kann ich es besser verstehen.“
    „Ja?“ Paula wirkte verdutzt.
    „Sieh mal, als ich meine erste Frau verlor, war ich gerade mal Anfang Fünfzig. Das ist heutzutage kein Alter mehr, ich hatte noch viel im Leben vor. Ein Neuanfang fällt zwar auch nicht leicht, ist aber durchaus möglich. Aber wenn mir das mit fünfundachtzig passiert wäre, hätte sich das ganz anders verhalten. Na ja, ich fürchte, ich werde eh nicht so alt.“ Betrübt rieb er sich über seinen ausufernden Bauch. „Ich lebe zu gut. Na ja, so ist das.“
    An der nächsten Haltestelle verließen die beiden Jugendlichen den Bus. Nun fuhren Wilhelm und Paula alleine durch die schlafende Stadt. Die Endstation am Hauptbahnhof näherte sich, Paula machte sich bereit zum Aussteigen.
    „Nee, lass mal. Bleib sitzen.“ Wilhelm schaltete den Motor aus und löschte die Beleuchtung, als er den Bus in der Parkposition abstellte. Die
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