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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee
Autoren: Katrin Rohde
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folgte seiner Anweisung. Langsam bewegte sie sich zu der angewiesenen Position und verharrte schweigend der Wiederkehr ihres fahrbaren Untersatzes. Sie starrte stumpfsinnig vor sich hin, ihre Gedanken galten nichts und niemandem. Es ging ihr nur darum die Zeit zu überbrücken, um wieder in diesen Bus einzusteigen.
    Pünktlich stand er vor ihr und vor weiteren Fahrgästen, die von den Zügen des Bahnhofs geeilt kamen und ihren Weg mit dem Bus fortsetzten. Die Türen schwangen auf, Paula stieg ein und wollte an dem Busfahrer vorbeigehen.
    „Hallo? Wo ist Ihre Fahrkarte?“, blaffte er sie an.
    „Äh, wie bitte?“ Entrüstet sah sie ihn an. Sie schätzte den Mann auf Mitte Fünfzig. Seine Figur war die eines typischen Busfahrers, der nicht allzu viel Bewegung bekam.
    „Ihre Fahrkarte.“
    „Hören Sie mal guter Mann, die habe ich vor gut einer Dreiviertelstunde bei Ihnen gekauft, dann haben Sie mich vor fünfzehn Minuten aus dem Bus geworfen. Das können Sie doch nicht vergessen haben?“ Sie nestelte den Fahrschein aus ihrer Hosentasche und hielt ihm diesen vor die Nase. „Da. Karte. Sehen Sie.“
    Das Gesicht des Mannes verzog sich zu einem Grinsen. „War nur ein Test, ob ich Sie aus Ihrer Trance reißen kann. Nehmen Sie es mir nicht übel, auch ein Busfahrer braucht etwas Abwechslung.“
    Er schloss hinter Paula die Tür und fuhr mit einem Ruck an. Hastig griff sie nach der Haltestange und ließ sich auf ihren Platz gleich vorne bei ihm nieder. Verdattert stellte sie fest, wie sich der Mann auf ihre Kosten amüsierte. Langsam schloss sie den Mund und empfand zum ersten Mal, seitdem sie Magarete tot vorgefunden hatte, eine Spur von Normalität. Ein wenig Erleichterung folgte dem Gefühl. Sie lehnte sich entspannt zurück und ließ den Busfahrer nicht aus den Augen. Routiniert fuhr er die Haltestellen an, ließ sich bestimmt, aber auch freundlich die Fahrausweise der neu Zugestiegenen zeigen und fuhr gelassen durch die Straßen, die sich in der voranschreitenden Nacht stetig leerten.
    „Sagen Sie mal“, sprach Paula ihre Gedanken aus, „Sie fahren gerne Bus, oder?“
    Überrascht warf er einen Blick in den großen Rückspiegel. „Natürlich fahre ich gerne Bus. Wenn etwas Spaß macht und Geld bringt, ist es viel wert.“
    „Da haben Sie wohl Recht. Stört Sie nicht die Arbeitszeit? Ich meine, Sie sind jetzt spät abends unterwegs. Wie lange müssen Sie heute noch fahren?“ Paula zog sich an dem Haltegriff nach vorne und behielt den Mann und die Straße im Auge.
    Der Mann schmunzelte. „Meine Schicht geht heute bis 6:00 Uhr. Ich fahre gerne die Nachtschicht, es ist viel ruhiger auf den Straßen. Die Menschen, die zu mir in den Bus steigen, sind interessanter und es ergibt sich das ein oder andere Gespräch, wenn auch nur kurzweilig.“
    „Hmm.“ Paula dachte darüber nach. „Haben Sie Familie? Ich stelle mir das schwer vor, wegen der Nachtschicht.“
    Der Mann grinste sie zufrieden an. „Das passt wunderbar mit meiner Frau. Sie trägt Zeitungen aus und kommt erst gegen 7:00 Uhr nach Hause. Wir frühstücken zusammen und gehen dann gemeinsam Schlafen.“ Sein Lächeln verschwand für einen Moment. „Mit meiner ersten Frau lief es nicht so gut. Sie verstand nicht, warum ich gerne in der Nacht fuhr und das war ein häufiges Streitthema.“
    „Oh, Sie sind geschieden und haben wieder geheiratet?“
    Der Mann schüttelte den Kopf. „Meine erste Frau ist vor fünf Jahren gestorben.“
    „Oh.“ Paula schwieg. Das Thema Tod schien sie zu verfolgen. Sie wandte den Blick von der Straße ab und ließ die wenigen beleuchteten Fenster an sich vorbeiziehen. Ihr Kopf war leer, Bruchstücke, zusammenhanglos, waberten umher, ohne dass sie etwas hätte greifen können.
    „Endstation.“
    Überrascht fuhr sie mit dem Kopf herum. „Was, schon?“
    „Ja.“
    „Okay, bis gleich dann.“ Paula stieg aus und stellte sich an die Haltestelle. Eine Viertelstunde später stand der Bus mit geöffneter Tür vor ihr.
    „Ich weiß, der Fahrschein“, kam sie dem Busfahrer zuvor. Sie hielt ihn in die Höhe und wollte ihren Stammplatz einnehmen, als er sie zurückhielt.
    „Das Neunzig-Minuten-Ticket ist abgelaufen“, stellte er trocken fest.
    „Ja dann, bitte ein neues. Was anderes macht wohl keinen Sinn, oder?“
    „Nein, ich denke nicht. Bezahlen Sie wieder mit einem Fünfziger?“
    „Ich denke ich werde das Kleingeld von vorhin nehmen.“ Sie reichte ihm die abgezählten Münzen, nahm den Fahrschein entgegen und
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