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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee
Autoren: Katrin Rohde
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Herz wusste bereits was es war.
    Sie ging in die Hocke. Die Schrift auf dem Umschlag erkannte sie sofort. Es war die wundervoll geschwungene Handschrift von Magarete. „Für meine Paula.“ Ihre Stimme war ein heiseres Flüstern im dämmrigen Flur.
    Vorsichtig hob sie den Umschlag auf und legte ihn zurück auf die Kommode. Respektvoll betrachtete sie aus der Entfernung die wunderschön geschwungenen Buchstaben. Was sich wohl darin befand? Vielleicht würde Magarete ihre Fragen beantworten, die sie seit Tagen quälten. Vielleicht aber auch nicht. Der Brief konnte alles schlimmer machen, wer weiß.
    Das Klingeln an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Es klingelte ohne Ablass, bis es in einem Klopfen mündete.
    „Paula, mach schon auf. Ich weiß, dass du da bist. Wir machen uns Sorgen.“ Akay verstummte und lauschte. „Ich kann dich atmen hören. Los, mach auf!“ Sie klopfte erneut, währenddessen hielt Paula die Luft an. Konnte Akay wirklich durch die Tür lauschen und ihren Atem hören? Unwahrscheinlich.
    Paula wurde die Luft langsam knapp, als Akay resigniert aufgab. „Du weißt wo du mich finden kannst. Jederzeit, okay?“ Paula hörte die sich schließende Tür ihrer Nachbarin.
    Seufzend sog sie tief die Luft in sich hinein und atmete schnell aus. Warum ließen sie sie nicht in Ruhe?
    Es kam ihr nicht in den Sinn, dass sich die Menschen ernsthaft Sorgen um sie machten.
    „Ich muss hier raus. Hier finde ich nie meine Ruhe.“ Sie zog sich hastig ein paar Sachen über, nahm Schlüssel und Geld mit. Nach einem Blick durch den Türspion, verließ sie die Wohnung und schlich wie eine Katze die Treppe hinab. Vor Lindners Wohnung duckte sie sich und rannte aus dem Haus. Sie rannte die nächsten Straßen weiter. Die heraufziehende Dunkelheit verschluckte sie zunehmend und entließ sie in eine beruhigende Anonymität. Niemand erkannte sie, stellte ihr Fragen oder gab Weisheiten zum Besten. Ziellos wanderte sie umher, erwiderte niemanden Blickes und wusste nicht, wo sie sich augenblicklich befand.
    An einer stark befahrenen Straße blieb sie stehen. Die Bushaltestelle zur ihrer rechten Hand war mit vielen Menschen bevölkert, die dem herannahenden Bus entgegensahen.
    Spontan schloss sie sich den Menschen an, die in den Bus einstiegen. Einige gingen an dem Busfahrer vorbei und zeigten ihre Fahrkarte vor, andere bezahlten ihr Ticket. Als Paula an der Reihe war, sah der Busfahrer sie abwartend an.
    „Wo soll es denn hingehen?“
    „Ähm, weiß ich nicht. Wie lange kann ich bei Ihnen mitfahren?“
    „Wie wäre es mit einem Neunzig-Minuten-Ticket?“
    „Okay, nehme ich.“
    „Macht zwei Euro zehn.“
    „Oh, ich habe nur einen Fünfziger.“
    Der Busfahrer blickte stumm gen Himmel und nahm eine Brieftasche mit Scheinen zur Hand, zählte die großen Scheine ab und gab ihr den Rest in Kleingeld. „Wenn Sie nun freundlicherweise Platz nehmen wollen, dann können ich und die Fahrgäste weiterfahren.“
    „Ach ja.“ Paula blickte sich irritiert im Bus um. Mehrere der Fahrgäste blickten sie genervt an, weil sie die Weiterfahrt verzögerte. Rasch ließ sie sich auf dem Sitz vorne beim Fahrer nieder und sah beschämt aus dem Seitenfenster. Was tue ich hier eigentlich, fragte sie sich im Geiste.
    Gereizt blies sie den Atem aus, der sich an der Fensterscheibe für einen Moment niederschlug, ehe er im Nichts verschwand. Wie ein Menschenleben, dachte sie deprimiert. Sie legte den Kopf gegen die kühle Scheibe, bis die holprige Federung des Busses sie zwang, den Kopf gerade zu halten.
    Stumpf ließ sie die Nacht und die Stadt an sich vorbeiziehen. Die Dunkelheit und die warmen Lichter in den Häusern gaukelten Sicherheit vor, die es nicht gab. Niemand war sicher auf der Welt. In einem Moment konnte alles vorbei sein. Grausam.
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen, nur weinen konnte sie nicht. Sie fühlte eine Sperre in sich, die verhinderte, endlich diesen unermesslichen Schmerz loszuwerden.
    „Sie müssen hier aussteigen.“
    Überrascht stellte Paula fest, dass sie die Letzte im Bus war. Der Busfahrer warf ihr einen unfreundlichen Blick zu. „Endstation. Hauptbahnhof.“
    „Oh.“ Sie sah sich um, das helle Licht im Bus ließ sie nur schemenhaft die Welt draußen erahnen. „Wann fahren Sie denn weiter?“
    „Ich habe fünfzehn Minuten Pause, dann gehe ich auf meine nächste Runde über den Innenstadtring. Wenn Sie wollen, steigen Sie nachher da drüben wieder ein.“ Er zeigte in eine Richtung.
    Paula nickte und
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