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2.02 Der fluesternde Riese

2.02 Der fluesternde Riese

Titel: 2.02 Der fluesternde Riese
Autoren: Joachim Masannek
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GEWITTERNACHTREGENDUFT
    Es blitzte und donnerte, als wir nach Mitternacht aus Donnerschlag kamen, und der Regen, der uns bis auf die Haut durchnässte, kühlte unsere überhitzten Gemüter. Wir lachten uns an. Wir riefen die Namen der anderen Kerle, als wären es glücksbringende Zaubersprüche.
    „Hey, Raban!“
    „Hey, Nerv!“
    „Leon, hast du das gesehen?!“
    Und zu unserer Hymne, die aus dem High-Noon-D-Day-Thunder-Blaster in Julis Beiwagenfahrrad röhrte, zu „Alles ist gut, solange du wild bist!“ sah jeder in den strahlenden Augen des anderen noch einmal das alles entscheidende Tor.
    Wir sahen Nerv in die Tiefe stürzen. Wir sahen Klettes entsetzten Blick. Doch während sie und die Wölfe glaubten, dass Nerv auf dem Boden zerschellen würde, spannten wir längst das Banner der Biestigen Biester zu einem rettenden Sprungtuch auf.
    Nerv, der das wusste, holte mit dem linken Bein Schwung, zog das rechte und stärkere kaltschnäuzig nach und ließ dem armen Gilead, dem Tormann der Wölfe, nicht den Hauch einer Chance.
    Die lavarote Kugel schlug rechts unten ein, lief diagonal durch das Netz bis hoch in den Winkel und bauschte die Maschen dabei so unbeschreiblich Schmetterlingsflügel-Traumwolken-weich, dass wir es gar nicht fassen wollten. Ja, und genauso Schmetterlingsflügel-Traumwolken-weich fiel Nerv, der die Arme zum Sieg bis zu den Sternen streckte, in das von uns gespannte Sprungtuch, um danach noch mindestens ein Dutzend Mal jauchzend und jubelnd wieder nach oben zu fliegen.
    Krumpelkrautrüben-und-Spitzbubenschlitzohr-gerissener-Höllenhund! Habt ihr das verstanden?! Wir gehörten dazu: zur Liga der Besten. Der „Liga der Neun“, und wir würden schon bald, ja, schon in zwei Wochen, am Sonntag nach Ostern, unser erstes Match in Donnerschlag spielen: im Freestyle Soccer Contest, hört ihr?! Verfuchst, und egal welche hinterhältigen Regeln sich hinter diesem Namen versteckten, uns schreckte nichts ab. Wir waren bereit! Und weil ich, Marlon, heute ihr Anführer war, führte ich die letzten sieben Kerle, die es noch gab, aus dem Wilden Wald 2 und durch die Magische Furt 3 zurück in die Stadt, über die der uns kühlende Gewitterregen längst hinweggezogen war.
    Mein Bruder Leon, der Slalomdribbler, Torjäger und Blitzpasstorvorbereiter, klebte wie ein Schatten an mir. Neben ihm zog Raban, der Held, dessen Coca-Cola-Glas-Brillengläser wie zwei Scheinwerfer strahlten, seinen Traktorhinterradreifen über den noch nassen Asphalt, und ihm folgten die beiden Flaggschiffe des nachtschwarzen Pulks. Markus, der Unbezwingbare, und Maxi „Tippkick“ Maximilian, der Mann mit dem härtesten Bums der Welt, trieben ihren Bäckerradseifenkistenkreuzer mit gedoppelter Fuß- und Handpedalkraft über die Straße, und neben ihnen sangen Juli „Huckleberry“ Fort Knox, die Viererkette in einer Person, und Nerv, der nervt, im Blaster-geboosterten Beiwagenrad das Lied unseres Sieges. Unsere Scheinwerfer strahlten wie junge Sonnen. Die Schwungradturbos 4 sirrten in den Motorradtanks, und auf denen blitzte das fauchende Logo.
    „Raaaah!“, sangen wir alle und weckten die Stadt.
    Alle sollten es wissen. Wir waren wieder da. Die wildeste Mannschaft war wieder zurück, und das konnte kein Fluch und keine Verwünschung verhindern:
    „Seid ihr denn völlig durchgeknallt!“
    „So eine Frechheit!“
    „Die Kinder von heute haben überhaupt keine Manieren!“
    „Wo sind eure Eltern?!“

    „Müsst ihr nicht ins Bett?“
    „Euch sollte man …! Hört ihr?!“
    Doch von uns prallte das ab. Wir lachten uns an und jagten zu Maxis Haus in der Alten Allee. Wir weckten Julis Mutter auf, wir jauchzten vorm Eisdielenhaus meines Vaters, wir ließen die Rosenkavaliersgasse erzittern und jagten Markus’ Vater einen Schrecken ein.
    „Fußball, ich komme!“, hörte er in dem Augenblick, als er davon träumte, dass Markus ihm sagte, was er schon seit Jahren von seinem Sohn hören wollte:
    „Papa, ich will ein Golfprofi werden.“
    Doch dann hörte er uns: „Fußball, ich komme!“ Er fuhr aus dem Schlaf und rannte zum Fenster, unter dem wir vorbeisausten.
    „Fußball, ich komme!“, sangen wir alle zusammen und Markus am lautesten. „Denn ohne dich, Fußball, bin ich einfach nichts!“
    Ich führte den Pulk an, und ich war so glücklich, dass ich für einen Moment alles vergaß. Ja, ich hatte vergessen, was im Spiel passiert war. Dass Vanessa gegangen war, ja, und warum und wieso und wie wütend sie dabei gewesen war.
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