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Lindenallee

Lindenallee

Titel: Lindenallee
Autoren: Katrin Rohde
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zurück. „Warum grinst du denn jetzt?“, fragte sie erstaunt.
    „Erstens, mit dem Hornochsen hast du Recht. Nein Paula, unterbrich mich nicht, jetzt bin ich dran. Zweitens, habe ich dir längst gegen meinen Willen verziehen. Hättest du ein paar Meter Abstand gewahrt, hätte ich länger durchgehalten. Mein Fleisch ist einfach zu schwach. Und drittens“, er legte eine kleine Pause ein, „drittens, finde ich die Situation mit den beiden Urnen mehr als seltsam und abgedreht.“
    „Und dazu gibt es auch noch ein Beweisfoto, das in ein paar Tagen mit der Post kommt.“ Paulas ernstes Gesicht lockerte sich durch ein zaghaftes Lächeln auf.
    „Was immer du vor hast, lass es uns jetzt tun. Ich habe das Gefühl, wir beide brauchen ein großes Stück Normalität in unserer Beziehung. Und heute fangen wir damit an, nachdem die Sache mit den Urnen und was immer du geplant hast, erledigt ist, ja?“
    Paula nickte stumm und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. „Danke.“
    Er versank in ihren Augen, wie ein Wasserstrudel zogen sie ihn mit hinab. Schweren Herzens löste er sich von ihrem Anblick und setzte den Motor in Gang.
    Ihr Weg führte sie entlang an abgeernteten Feldern, über die Schwärme von Spatzen flogen und die Reste vom Boden aufpickten. Durch die hinuntergelassenen Türscheiben wehte ihnen ein warmer Wind ins Gesicht. Ein warmer Spätsommertag gab diesem Abend einen besonderen Zauber, wenn auch ziemlich unpassend zu der Mission, die ihnen bevorstand. Steffen konnte selber kaum glauben, mit welcher Fracht an Bord sie unterwegs waren.
    Paula ließ die Natur an sich vorbeiziehen. Der Wechsel von Sommer auf Herbst stimmte sie nicht traurig. Vielmehr gab es ihr die Gewissheit, wie die Natur ihren Lebenszyklus fortsetzte und auf den Sommer der Herbst folgte, sich der Winter anschloss, ehe der Frühling die Flora und Fauna zu neuem Leben erweckte. Ein vertrauter und einlullender Rhythmus.
    Steffen lenkte den großen Wagen auf ihren Stammparkplatz am Rittergut. Mit einem satten Geräusch fielen die Türen zu. Unerwartet drang lautes Gelächter an ihre Ohren. Ihre neugierigen Blicke entdeckten eine Hochzeitsfeier, die im Innenhof des Gutes stattfand. Davor, zur Straßenseite, turnten Mädchen mit weißen Kleidchen herum, Jungen in schwarzen Hosen und weißen Hemden fochten mit Stöcken gegeneinander. Das gusseiserne Tor schmückten unzählige, weiße Schleifen, die verheißungsvoll im Wind flatterten.
    „Halt mich jetzt nicht für verrückt, aber ich finde, das ist ein Zeichen.“ Paula hatte ihren Entschluss gefasst.
    „Was hast du vor, Paula?“ Steffen vermutete richtig, dass sie etwas im Schilde führte. Ob ihm das Gefallen würde, dessen war er sich nicht sicher. Als sie die Tasche mit den beiden Urnen aus dem Auto nahm, bestätigten sich seine Vorahnungen.
    „Oh nein, Paula, was wird das? Das ist bestimmt nicht erlaubt!“
    „Ist mir egal. Was soll schon Schlimmes dran sein?“ Ohne auf ihn zu warten, überquerte sie die Dorfstraße und schritt der Lindenallee entgegen.
    Ergeben seufzte Steffen und folgte ihr. Fast nahm ihn ein Auto auf die Hörner, das er nicht hatte kommen sehen. Der Autofahrer hupte aufdringlich und zeigte ihm einen Vogel. Steffen brachte dem Autofahrer nur ein schwaches Lächeln entgegen und versicherte sich, dass er die Straße gefahrlos überqueren konnte. Was war ein gezeigter Vogel schon gegen das, was Paula vorhatte!
    Er schloss zu Paula auf und ergriff ihre freie Hand. Gemeinsam standen sie am Anfang der Lindenallee und genossen den Anblick der großen Bäume. Die Zeichen des Herbstes zeigten sich noch nicht in den Blättern, ein helles Grün begrüßte sie freundlich und einladend.
    Sie betraten die Allee. Der Wind, der zuvor die weißen Schleifen am Tor bewegt hatte, verebbte wie von Zauberhand. Es wurde still, kein einziger Vogellaut war zu hören, weit entfernt knatterte ein Motorrad über die Landstraße. Sonst nichts.
    „Spürst du es auch?“, raunte Paula. „Es ist fast so, als ob die Lindenallee nur auf die Heimkehr von Magarete und Friedrich gewartet hätte.“
    Steffen neben ihr schwieg. Er drückte ihre Hand und konnte sich ebenso wenig diesem magischen Zauber erwehren. Er hatte es schon einmal gespürt, vor ein paar Wochen, als er mit Paula und Magarete hier gestanden hatte. Sein Verstand konnte es nicht erklären, aber sein Herz fühlte förmlich, wie etwas nicht Erklärbares in der Luft lag.
    Langsam setzten sie ihren Weg fort, die beiden Urnen klackten im Takt
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