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Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Titel: Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
Autoren: Heinrich Steinfest
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müssen.«
    Sie sprach, als sei alles abgemacht. Nun, es war wohl bereits alles abgemacht. Georg begriff es. Und intuitiv begriff er auch, daß der eigentliche Fehler gewesen war, sich die Frage gestellt zu haben, ob er sein Glück, seine Familie, die Vollkommenheit seines Lebens eigentlich verdiene.
    Nein! schien jemand geantwortet zu haben. Jemand oder etwas.
    Georg Stransky nahm den Apfel aus dem Müll und wog ihn in der Hand. Das Ding war weder leichter noch schwerer, als man es von einem normalen Apfel erwarten durfte. Ein letztes Mal versuchte Georg sich zu drücken: »Und wenn ich jetzt sage, ich esse ihn, und esse ihn aber gar nicht?«
    »Das würden wir rasch merken. Und ich darf Ihnen versichern, daß dann mehr geschieht, als daß bloß ein alter Gaul stirbt.«
    »Oh! Das ist jetzt aber die Art Drohung, die nicht zu Ihnen paßt.«
    »Stimmt. Aber wenn Sie meinen, Sie könnten uns betrügen, verschieben sich die Regeln hin zum Abartigen. So ist das immer. Der Betrug verzerrt alles. Wer lügt, schafft Unordnung. Das muß Ihnen klar sein. Aber ich bin sicher, Sie sind kein Dummkopf und lieben Ihre Tochter.«
    »Ja, das tue ich«, sagte Georg und dachte sich: »Vielleicht doch ein Traum. Oder ich bin verrückt geworden. Der Apfel existiert gar nicht.«
    Georg öffnete seinen Mund und biß in ein Stück Obst, das möglicherweise nur in seiner Einbildung bestand, aber dennoch einen moderat süßlichen Geschmack besaß. Es schmeckte weder nach Himmel noch nach Hölle, weder nach kleingehackten Seelen noch nach einer Überdosis von irgendwas. Es schmeckte nach Apfel.
    Georg kaute ausgiebig. Der Saft machte sich auf den Weg in den Magen. Dann auch das zerfranste Fleisch.
    »Den ganzen Apfel?« fragte Georg.
    »Das wird nicht nötig sein«, meinte die Frauenstimme. »Ein Bissen noch, das sollte reichen, denke ich.«
    Es reichte. Nachdem Georg das zweite Stück hinuntergeschluckt hatte, fuhr ein leichter Schmerz durch seinen Kopf, nicht wirklich unangenehm, als kraule jemand sein Hirn, und kraule halt ein bißchen kräftig. Vor seinen Augen zersetzten sich die Formen und Farben. Der Kubismus ließ grüßen.
    Georg wollte noch etwas sagen. Ihm fiel aber nichts ein. Von Ferne vernahm er die Stimme der Telefonistin, die also auch diesmal ihre blütenweiße Weste in Sachen Überredungskunst reingehalten hatte. Sie sagte etwas in dieser Situation verblüffend Konventionelles, sie sagte einfach: »Viel Glück!«
    Viel Glück, das klang gar nicht gut.
    Georg meinte zu lächeln, in der verzweifelten Art. Dann wurde es dunkel, noch bevor er es merkte.

2
    Eine dünne Frau
    Die Szene erinnerte schon sehr an einen dieser amerikanischen Kriminalfilme, wenn Männer in mehr oder weniger schlecht sitzenden Anzügen herumstehen und Witze über die Leiche machen, die da zu ihren Füßen liegt. Über Samenflecken und Ehefrauen und solches Zeug. Witze halt, wie Männer sie erzählen, wenn der Makel schlecht sitzender Anzüge ihre Seele verdorben hat.
    Im vorliegenden Fall freilich fehlte die Leiche. Die ganze Person fehlte. Statt dessen hatte man nichts anderes als einen Apfel. Und auch den nicht wirklich. Denn der Apfel lagerte bestens verpackt im Tresor jenes Labors, in das Viola Stransky ihn gebracht hatte.
    Nachdem ihr Mann am Morgen nach dem Vorfall mit der Fensterscheibe nicht in seinem Bett gewesen war und sie ihn auch an keinem anderen Platz hatte finden können und nachdem eine Vermißtenanzeige bei der Polizei bloß Augenverdrehungen und Achselzuckungen hervorgerufen hatte, war ihr die Idee gekommen, nach dem Apfel zu sehen. Selbiger – nun mit einer zweifachen Bißstelle versehen – befand sich allerdings nicht mehr dort, wo sie ihn hingetan hatte, beziehungsweise lag er im falschen Eimer, dem für den Restmüll. Der Umstand unkorrekter Deponie erschien ihr irritierender als jener des Angebissenseins.
    Viola Stransky war sich absolut sicher, das Apfelstück in den dafür vorgesehenen Behälter getan zu haben. Was also hatte das zu bedeuten? Welcher Sinn konnte darin bestehen, einen Apfel aus dem richtigen Eimer zu ziehen, zweimal davon abzubeißen und ihn dann in den anderen, den falschen wieder zurückzuwerfen, um in der Folge spurlos zu verschwinden? Und weil das nun eine so gar nicht beantwortbare Frage war und andererseits die zuständigen Behörden nicht gewillt schienen, das Verlorengehen eines Familienvaters in einem anderen Zusammenhang als dem der Familienflucht zu sehen, nahm Viola Stransky das Obststück, brachte
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