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Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Titel: Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
Autoren: Heinrich Steinfest
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es zum Labor eines befreundeten Lebensmittelchemikers und ließ eine Analyse vornehmen. Ein Akt purer Hilflosigkeit. Ein Akt freilich, der die Erkenntnis nach sich zog, daß neben dem üblichen Saft im Fleisch des Apfels sich auch der Saft eines neuartigen Betäubungsmittels befand, eines Benzodiazepins, welches den populären Namen »Fräuleinwunder« trug. Ob damit die narkotisierende Wirkung neuester deutscher Literatur gemeint war oder auch etwas ganz anderes, blieb unbekannt. Bekannt war hingegen die Effektivität, aber auch gute Verträglichkeit des Präparats, das sich – einmal verabreicht – nur mehr schwer nachweisen ließ. Sehr wohl aber, wenn Anteile davon im süßlichen Fleisch eines Apfels konserviert einlagen.
    Der Chemiker hatte das Ergebnis seiner Analyse direkt an die Polizei weitergeleitet, die sogleich ihre Ansicht, Georg Stransky verbringe seine Tage im Freudenhaus, verwarf. Immerhin war der Mann Universitätsprofessor und seine Frau eine angesehene Geschäftsfrau. Keine wirklich superreichen Leute, das nicht, jedoch höchst respektable Bürger. Allerdings hätte eine Entführung aus finanziellen Gründen eher die minderjährige Tochter betreffen müssen und nicht einen Mann, der möglicherweise tot mehr wert war als lebend. Selbstredend bot sich eine ganze Reihe von Gründen an, wenn jemand unfreiwillig verschwand. Oder eine solche Unfreiwilligkeit vortäuschte.
    Wie auch immer, die Polizei war aufgewacht. Wie man aufwacht, wenn in der Nebenwohnung der Wecker läutet, läutet er laut genug. Und das tat er ja. Fräuleinwunder ! Und darum also standen die Herren Kriminalisten in der Eßzimmerküche der Familie Stransky herum, ohne Leiche, ohne Apfel, dennoch beschäftigt. Mit Witzen beschäftigt, die gewissermaßen an der Dame des Hauses vorbeierzählt wurden. Man könnte sagen: Apfelwitze.
    Womit es aber augenblicklich vorbei war, als Lilli Steinbeck den Raum betrat. Sie war berühmt dafür, Witze machende Männer auf den Mond zu schießen. Sie besaß so eine gewisse arrogante, aber auch betörende Art, jemand zu erklären, daß er sich seine Blödheiten für die Freizeit aufheben solle. Sie gab Männern das Gefühl, ihre Anzüge würden schlecht sitzen. Lilli Steinbeck war somit eine Person, die etwas Tatsächliches anprangerte und folglich eine Übereinstimmung von Faktum und Wahrnehmung herstellte. Bei ihr war ein versalzenes Essen ein versalzenes Essen und nicht etwa würzig oder pikant oder wenigstens Ausdruck von Verliebtheit.
    Lilli Steinbeck hatte lange Zeit ein halboffizielles Sonderdezernat der Wiener Polizei geleitet und galt als Spezialistin für Entführungsfälle. Recht spät eigentlich, in den eigenen Vierzigern, war sie der Stadt Wien überdrüssig geworden, in einem Alter, da andere bereits wieder heimkehrten, um nach einem Leben in der großen weiten Welt die Wiener Operette um eine weltmännische Note zu bereichern. Meinten sie. Jemand wie Steinbeck hielt das natürlich für eine Illusion. Um den Vergleich des versalzenen Essens nochmals zu bemühen: Wien bleibt Wien. Operette bleibt Operette. Ein amputiertes Bein bleibt ein amputiertes Bein.
    Als Expertin in Fragen des Menschenraubs arbeitete sie auch am neuen Ort. Ihr Ruf war dahingehend tadellos, daß sie Erfolg hatte und sich in jeder Hinsicht als unbestechlich erwies. Wie damals in Wien galt sie auch hier als Lesbe, wahrscheinlich darum, weil weder Kollegen noch Kolleginnen sich die Existenz eines Neutrums wirklich vorstellen konnten oder wollten. Ein Neutrum erschien als gotteslästerlich. Wie jemand, der, obgleich am Verhungern, auf ein herbeigezaubertes Essen spuckt. Passenderweise war Lilli Steinbeck ausgesprochen dünn, ja mager. Ihr langer, schmaler Hals wirkte als ihr eigentliches Körperzentrum, als sitze darin das Herz und die Seele dieser Frau. Was jedoch keineswegs nach Pinocchio aussah, sondern nach Audrey Hepburn. Und das, obwohl Lilli Steinbeck eine auffällig verunstaltete Nase besaß, eine Nase, die nicht nur mehrfach gebrochen, sondern auch stark verrutscht schien, gegen die Stirne hin. Ein wenig in der Art, wie man das von Klingonen kennt.
    Daß nun dieses lädierte, aus der Mittellinie eben nur bedingt herausragende Organ in einem ausgesprochen hübschen, ebenförmigen, hellen, auf eine vornehme Art geradezu weißen und glatten Gesicht lag, erschien den meisten Betrachtern als der eigentliche »Skandal«. Gerade dadurch nämlich, daß Lilli Steinbeck es unterließ, den Zustand ihrer Nase auch nur
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