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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
Autoren: Alice Munro
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Kind zu haben«, sagte Greg. Ein weiterer Ausdruck, der zu der Zeit neu oder zumindest für Greta neu war.
    »Kommt vor«, sagte sie.
    »Du bist so ruhig. Gleich sagst du ›So ist das Leben‹.«
    »Bestimmt nicht«, sagte Greta und sah ihm in die Augen, bis er den Kopf schüttelte und lachte.
    Er erzählte ihr, dass er durch seine Religion zur Schauspielerei gekommen war. Seine Familie gehörte einer christlichen Sekte an, von der Greta noch nie gehört hatte. Diese Sekte war nicht groß, aber sehr wohlhabend, oder zumindest einige ihrer Mitglieder waren es. Sie hatten in einer Stadt in der Prärie eine Kirche erbaut mit einem Theater darin. Dort hatte er seine ersten Auftritte, bevor er zehn Jahre alt war. Sie führten Parabeln aus der Bibel auf, aber auch aus der Gegenwart, über die schrecklichen Dinge, die Menschen widerfuhren, die nicht das glaubten, was sie glaubten. Seine Familie war sehr stolz auf ihn, und er natürlich auch auf sich selbst. Er dachte nicht im Traum daran, ihnen alles zu erzählen, was vorging, wenn die reichen Konvertiten kamen, um ihr Gelübde zu erneuern und in ihrer Frömmigkeit wiedererweckt zu werden. Jedenfalls gefiel es ihm sehr, so viel Anerkennung zu erhalten, und er mochte das Theaterspielen.
    Bis ihm eines Tages die Idee kam, dass man Theater spielen konnte, ohne all diesen Kirchenkram über sich ergehen zu lassen. Er versuchte, es ihnen in höflicher Form beizubringen, aber sie sagten, das ist der Teufel, der da krallt. Er sagte: Haha, ich weiß, wer da krallt.
    Und tschüss.
    »Du musst nicht denken, dass alles schlecht war. Ich glaube immer noch ans Beten und alles. Aber ich könnte meiner Familie nie sagen, was da vorging. Schon die halbe Wahrheit würde sie umbringen. Kennst du solche Leute?«
    Sie erzählte ihm, als sie mit Peter nach Vancouver gezogen war, hatte ihre Großmutter, die in Ontario wohnte, sich mit einem Geistlichen ihrer Kirche in Vancouver in Verbindung gesetzt. Er stattete Greta einen Besuch ab, und sie behandelte ihn sehr von oben herab. Er sagte, er werde für sie beten, und sie gab ihm zu verstehen, dass sie darauf keinen Wert legte. Ihre Großmutter lag zu der Zeit im Sterben. Daraufhin schämte Greta sich, und jedes Mal, wenn sie daran dachte, ärgerte sie sich darüber, dass sie sich schämte.
    Peter verstand das alles nicht. Seine Mutter ging nie in die Kirche, obwohl sie ihn vermutlich auch über das Gebirge getragen hatte, damit sie katholisch bleiben konnten. Er sagte, katholisch zu sein hatte wahrscheinlich einen Vorteil, man konnte sich nach allen Seiten hin absichern, bis man starb.
    Zum ersten Mal seit einer ganzen Weile hatte sie an Peter gedacht.
    Es war nämlich so, dass sie mit Greg zusammen etwas trank, während dieses selbstquälerische, aber auch etwas tröstliche Gespräch stattfand. Er hatte eine Flasche Ouzo hervorgeholt. Sie ging sehr vorsichtig damit um, wie mit jedem alkoholischen Getränk seit dem Literatenfest, aber es stellte sich doch Wirkung ein. Genug dafür, dass sie anfingen, einander die Hände zu streicheln, und dann zu Küssen und Zärtlichkeiten übergingen. All dies musste neben dem Körper des schlafenden Kindes vor sich gehen.
    »Lass uns lieber aufhören«, sagte Greta. »Sonst werden wir es bereuen.«
    »Das sind nicht wir«, sagte Greg. »Das sind zwei andere.«
    »Dann sag ihnen, sie sollen aufhören. Weißt du, wie sie heißen?«
    »Moment. Reg. Reg und Dorothy.«
    Greta sagte: »Lass das sein, Reg. Was ist mit meinem unschuldigen Kind?«
    »Wir können in mein Abteil gehen. Das ist nicht weit weg.«
    »Ich hab keine …«
    »Ich aber.«
    »Etwa dabei?«
    »Natürlich nicht. Für was für ein Tier hältst du mich?«
    Also ordneten sie, was an Kleidung in Unordnung geraten war, schlossen sorgfältig jeden Knopf der Koje, in der Katy schlief, stahlen sich aus dem Abteil und machten sich mit gespielter Unbekümmertheit auf den Weg von Gretas Wagen zu seinem. Das war kaum nötig – sie begegneten niemandem. Die Fahrgäste, die nicht im Aussichtswagen waren und Fotos von den ewigen Bergen machten, saßen im Salonwagen oder schlummerten.
    In Gregs unordentlicher Koje machten sie dort weiter, wo sie aufgehört hatten. Es war nicht genug Platz für zwei, um sich richtig hinzulegen, aber sie schafften es, sich übereinanderzuwälzen. Anfangs ersticktes Gelächter ohne Ende, dann die tiefen Schocks der Lust, ohne Raum, woanders hinzuschauen als in die geweiteten Augen des anderen. Einander beißend, um sich wilde
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