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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
Autoren: Alice Munro
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Familie wohnte dort.
    Beide waren ausgesprochen schön, dachte Greta. Groß, geschmeidig, fast unnatürlich schlank, er mit krausen dunklen Haaren, sie schwarzhaarig und makellos wie eine Madonna. Als Greta ein wenig später ihre Ähnlichkeit zur Sprache brachte, sagten beide, sie hätten das manchmal ausgenutzt, wenn es ums Schlafquartier ging. Das machte alles viel einfacher, aber sie durften nicht vergessen, um zwei Betten zu bitten und dann beide zu verwühlen.
     
     
    Und jetzt, erzählten sie ihr, brauchten sie sich nicht mehr in Acht zu nehmen. Nichts mehr, was Anstoß erregte. Sie waren dabei, sich zu trennen, nach drei Jahren zusammen. Sie lebten seit Monaten keusch, zumindest miteinander.
    »Jetzt ist Schluss mit dem Buckingham-Palast«, sagte Greg zu Katy. »Ich muss meine Übungen machen.«
    Greta dachte, das bedeutete, dass er hinuntergehen oder sich zumindest in den Gang stellen musste, um Gymnastik zu machen, doch stattdessen warfen er und Laurie den Kopf zurück, reckten den Hals und begannen zu trällern und tirilieren in merkwürdigem Singsang. Katy war entzückt, fasste es als Angebot auf, als Darbietung zu ihrer Unterhaltung. Sie benahm sich auch wie ordentliches Publikum – ganz still, bis es zu Ende war, dann brach sie in Gelächter aus.
    Einige Leute, die die Treppe heraufkommen wollten, waren am Fuß stehen geblieben, weniger begeistert als Katy und ratlos, was es damit auf sich hatte.
    »Entschuldigung«, sagte Greg ohne Erklärung, aber im Ton freundlicher Vertrautheit. Er streckte Katy die Hand hin.
    »Mal sehen, ob es ein Spielabteil gibt.«
    Laurie und Greta folgten ihnen. Greta hoffte, dass er nicht einer von diesen Erwachsenen war, die sich mit Kindern hauptsächlich anfreunden, um ihren eigenen Charme auszuprobieren, sich dann langweilen und unwirsch werden, wenn ihnen klar wird, wie unermüdlich die Zuneigung eines Kindes sein kann.
    Zur Mittagszeit oder schon früher wusste sie, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Nicht nur, dass Katys Zuwendung Greg nicht ermüdete, sondern etliche andere Kinder hatten sich dem Wettkampf angeschlossen, und er zeigte keinerlei Zeichen von Erschöpfung.
    Dabei veranstaltete er keinen Wettkampf. Es gelang ihm, dass die Kinder ihre Aufmerksamkeit, die er anfangs auf sich gelenkt hatte, einander zuwandten und dann den Spielen, die lebhaft oder sogar wild waren, aber nicht verbiestert. Es gab keine Wutausbrüche. Süßigkeiten und Stofftiere landeten in Ecken. Dafür war einfach keine Zeit – wesentlich Interessanteres ging vor sich. Es war ein Wunder, wie sich auf so kleinem Raum Wildheit friedlich austobte. Und die verausgabte Energie versprach Mittagsschläfchen.
    »Er ist großartig«, sagte Greta zu Laurie.
    »Er ist einfach ganz da«, sagte Laurie. »Er spart sich nicht auf. Verstehst du? Wie viele Schauspieler. Besonders Schauspieler. Abseits der Bühne wie tot.«
    Greta dachte: Genau das tue ich. Ich spare mich auf, fast immer. Achtsam mit Katy. Achtsam mit Peter.
    In dem Jahrzehnt, das vor kurzem begonnen hatte, ohne dass zumindest sie davon recht Notiz genommen hätte, sollte diesen Dingen viel Aufmerksamkeit geschenkt werden. Da sein sollte etwas bedeuten, was es vorher nicht bedeutet hatte. Spontan sein. Sich echt einbringen. Manche Menschen brachten sich echt ein, andere nicht so. Die Mauern zwischen dem Innen und dem Außen des Kopfes mussten eingerissen werden. Die Echtheit verlangte das. So etwas wie Gretas Gedichte, alles, was nicht spontan rüberkam, war verdächtig, sogar verpönt. Natürlich machte sie einfach so weiter wie bisher, beharrlich erkundend, insgeheim im Hader mit der Gegenkultur. Aber momentan hatte sie ihr Kind Greg und allem, was er tat, anvertraut und war ihm sehr dankbar.
    Am Nachmittag, wie Greta vorausgesehen hatte, legten die Kinder sich schlafen. Ihre Mütter in einigen Fällen auch. Andere spielten Karten. Greg und Greta winkten Laurie hinterher, als sie in Jasper ausstieg. Sie warf ihnen vom Bahnsteig aus Kusshände zu. Ein älterer Mann erschien, nahm ihren Koffer, küsste sie zärtlich, sah zum Zug hoch und winkte Greg zu. Greg winkte zurück.
    »Ihre neue Zweierkiste«, sagte er.
    Weiteres Winken, als der Zug sich in Bewegung setzte, dann brachte er zusammen mit Greta Katy zurück ins Abteil, wo sie zwischen ihnen einschlief, mitten in einer steilen Steigung. Sie zogen den Vorhang auf, um mehr Luft zu haben, da nun keine Gefahr bestand, dass das Kind aus der Koje hinausfiel.
    »Gigantisch, ein
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