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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama
Autoren: Chris Cleave
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Augen aus dem Wasser ragten. Ich dachte an gar nichts. Als das Wasser kalt war, zog ich meinen rosa Bademantel an, wickelte meine Haare in einen Turban und schaute nach meinem Jungen. Er lag so friedlich da. Endlich war es auch in meinem Inneren ruhig. Ich legte mich neben das Bettchen und schlief schnell ein. Als ich aufwachte, schien die Sonne durch die Vorhänge und färbte alles rosa. Ich hörte den Schlüssel meines Mannes in der Wohnungstür, stand auf und ging zu ihm ins Wohnzimmer.
    - Wie ist es gelaufen?
    Mein Mann hatte sich bereits einen Famous Grouse eingegossen. Er sah mich an.
    - Ich bin noch am Leben, oder?, sagte er. Ich lächelte ihn an.
    - Ja, Schatz, das bist du.
    Er legte sich in voller Montur aufs Bett. Ich kuschelte mich neben ihn, den Arm auf seiner Brust. Ich horchte auf seinen Atem. Mein Kopf war angenehm leer, ich war glücklich.

 
    D IE L EUTE SAGEN , du bist eine BESTIE, Osama, aber das glaube ich nicht. Ich hab dich in deinen Videos gesehen. Du siehst aus wie ein Gentleman, und genau das macht mir Angst. Mein Mann war auch ein Gentleman, du hättest ihn gemocht. Vielleicht hättest du mal darüber nachdenken sollen, ehe du ihn in die Luft jagst. Sie sagen, du glaubst ans Paradies. Sie sagen, du glaubst, wenn deine Leute Unschuldige töten, tun sie ihnen im Grunde einen Gefallen, weil Unschuldige sofort ins Paradies kommen. Also ich weiß nicht. Mein Mann hat jedenfalls nicht an Allah geglaubt. Er glaubte an seinen Sohn und an Arsenal London.
    Ich stehe ja auch auf Fußball, aber mein Mann und mein Sohn waren richtig fußballverrückt. Mein Mann schleppte meinen Sohn zu jedem Heimspiel von Arsenal. Meist ging der Spaß schon am Abend zuvor los. Bevor wir den Kleinen ins Bett brachten, setzte ihn mein Mann auf seine Schulter, dann liefen sie durch die Wohnung und sangen: 1 ZU 0 FÜR ARSENAL, bis die Nachbarn über uns auf den Boden hämmerten. Die sind nämlich Chelsea-Fans. Okay, Osama, du haust mit deiner Kalaschnikoff in den Bergen, schickst von dort aus Gottes Rache auf die Häupter der Ungläubigen und denkst wahrscheinlich, Fußball wäre nicht so wichtig. Aber da liegst du schief.
    Manchmal kamen die Nachbarn von oben auch runter und bollerten gegen die Tür. Sie ertrugen es nämlich nicht, wenn mein Mann und mein Junge 1 ZU 0 FÜR ARSENAL sangen. Brüllten, wir sollten die Schnauze halten, und bollerten gegen die Tür. Aber das machte alles nur noch schlimmer, denn darauf sangen mein Mann und mein Sohn noch lauter 2 ZU 0 FÜR ARSENAL. Und so weiter. Je mehr Theater sie vor der Tür machten, desto höher wurde ihre Niederlage.
    Also, mich machte das Geschrei eher wahnsinnig. Aber mein Sohn musste jedes Mal so lachen, dass er sich gar nicht mehr einkriegte. Und dann natürlich nicht einschlafen wollte, weder für Geld noch gute Worte. Mum, rief er immer wieder, Mum, Mum, Mum, komm schnell, da ist was in meinem Zimmer. Und ich natürlich sofort hin und gefragt, was los ist. Darauf er: Reingefallen, da ist gar nichts, hahaha. Also, er war 4 Jahre und 3 Monate alt, da konnte man nicht einfach sauer sein. Er hatte so ein schönes Lächeln. So voller Lebensfreude.
    - He, du kleines Monster, jetzt wird aber geschlafen, sonst bist du morgen beim Spiel ganz müde. Arsenal gewinnt nicht, wenn du sie nicht unterstützt.
    - Aber ich bin noch gar nicht müde, Mum.
    - Doch. Und du schläfst jetzt, oder ich hole deinen Vater.
    - Ich hab aber keine Angst vor ihm. Mein Dad ist der beste Dad auf der ganzen Welt, besser als… als… als.
    - Als was, du kleines Monster? Besser als was?
    - Affen, sagte er darauf. Mein Dad ist besser als Affen und… und… und.
    - Und was?
    - Tizer-Limo, sagte mein Sohn.
    Es klingt verrückt, Osama, aber manchmal bin ich froh, dass deine Leute beide zusammen in die Luft gejagt haben. Denn wenn mein Sohn überlebt hätte, hätte ihm sein Dad doch so gefehlt. Es hätte ihn so traurig gemacht, und das konnte ich noch nie mit ansehen. Nein, da ist es schon besser, es trifft nur mich allein.
    Wenn der Junge endlich schlief, war es immer schon spät, und wir saßen mit einem Bier auf dem Sofa. Nur ich und mein Mann. Einmal freitagabends stritten wir uns – über Fußball. Es musste einfach raus.
    - Mir wär’s lieber, du würdest den Jungen nicht mehr mit nehmen. Er ist noch viel zu klein. Das macht mich richtig fickrig.
    - Fickrig?, sagte mein Mann. Wieso denn?
    - Naja, du weißt schon, wegen der vielen Gewalt im Stadion.
    - Haha, sagte mein Mann. Das ist ja wohl ein
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