Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama
Autoren: Chris Cleave
Vom Netzwerk:
streichelte mir übers Haar.
    - Schon gut, Schatz, sagte er. Es ist nicht deine Schuld. Niemand hält das auf Dauer aus.
    Ich knipste die Nachttischlampe an und steckte mir eine von seinen Ziggen an. Die Musik von oben wurde noch lauter, die Decke bebte. Jetzt fingen diese Schwachköpfe auch noch an zu tanzen. DIE NACHBARN AUS DER HÖLLE. Ich rauchte die Zigge bis zum Filter und warf sie dann einfach auf den Boden, was ich gewöhnlich nie machen würde. Ich bin vielleicht keine Heilige, Osama, aber meinen Haushalt halte ich in Schuss.
    Mein Mann sah mich an, als sei erst jetzt der Groschen gefallen. Die Zigarette landete auf dem Teppich, aber es war die nasse Stelle, wo das Glas gelandet war, und sie ging sofort aus. Ich glaube, in diesem Moment war mein Mann zu einem Entschluss gekommen.
    - Weißt du, was ich mache?, sagte er.
    - Nein. Was willst du denn machen?
    -Ich quittiere den Dienst, sagte er. Ich muss aus diesem Beruf raus, solange ich noch lebe und du nicht völlig durchgeknallt bist.
    - Meinst du, das geht? Womit sollen wir denn unser Geld verdienen?
    - Ich kenne einen Arzt, sagte mein Mann. Einen Polizeiarzt. Ich habe ihm mal einen Gefallen getan, damals, als ich noch Streife gefahren bin. Sie hatten seinen Sohn wegen Drogenbesitz hochgenommen. Nichts Dramatisches, nur ein paar Pillen, also ganz normal für Kids in seinem Alter. Ich habe die Pillen ins Klo geschmissen. Kein Grund, die Sache so hoch zu hängen. Jedenfalls, ich werde ihn mal fragen wegen meiner Nerven. Er ist mir noch was schuldig. Er kann mir einen Freifahrtschein ausstellen.
    - Freifahrtschein? Was meinst du damit?
    - Na ja, ein Freifahrtschein ist die Dienstunfähigkeit. So kriege ich immerhin noch drei Viertel meines letzten Gehalts und kann mir in Ruhe was anderes suchen.
    - Ach, Schatz, das würdest du tun?
    - Klar, sagte mein Mann. Ich bin erst 35, ich kann umschulen.
    Ich lächelte im Dunkeln. Mein Mann kein Polizist mehr, das war zu schön, um wahr zu sein.
    - Ach Gott, wenn ich mir das vorstelle. Keine Alarme mehr, kein Stress. Um Wettbüros machst du einen Bogen, und wir ziehen in eine schönere Wohnung, und wir lachen den ganzen Tag, und abends sehen wir zusammen fern, und du entscheidest, was geguckt wird. Und für den Kleinen machen wir noch ein kleines Brüderchen oder Schwesterchen, na, was meinst du?
    - Okay, sagte mein Mann. Okay, machen wir. Ich strahlte ihn an.
    - Los jetzt, Schatz.
    - Los wohin?, sagte er.
    - Komm mit.
    Ich zog ihn ins Wohnzimmer vor die Stereoanlage.
    - Komm, hilf mir mal, eine CD auszusuchen, bei der sie garantiert ausrasten. Die drehen wir dann richtig auf und zahlen es ihnen heim.
    Mein Mann lachte.
    - Du bist echt verrückt, sagte er. Aber ich liebe dich. Wie wär’s mit Phil Collins?
    - Phil Collins? Nicht schlecht, auf jeden Fall nervig genug. Aber ich dachte an was, das wirklich wehtut. Sonny und Cher?
    - Großer Gott, sagte mein Mann. Wir wollen sie ärgern, nicht in den Selbstmord treiben.
    - Okay, dann Dexy’s Midnight Runners.
    - Perfekt. Du bist ein Genie des Grauens.
    Wir nahmen die Lautsprecher und legten sie auf den Rücken, sodass die Schalllöcher nach oben zeigten. Mein Mann schaltete die Anlage ein und drehte sie voll auf. Mein Mann war Experte für gebrauchte Stereoanlagen. Unsere war ein wahres Ungetüm; sie stand früher mal im Polizeiclub von Walthamstow. Schon das statische Brummen war einschüchternd. Wie ein startendes Flugzeug. Wir kicherten wie die Kinder. Unsere Nachbarn konnten was erleben.
    - Fertig?, sagte mein Mann.
    - Fertig.
    - Dann los!, sagte mein Mann.
    Mein Mann legte die CD ein, drückte auf Play, und wir rannten in die Küche. Wir hielten uns die Ohren zu und kauerten uns hin. Was dann passierte, war beängstigend. Das Geschirr im Schrank rappelte wie bei einem Erdbeben, als Dexy’s Midnight Runners mit CO ME ON EI LEEN loslegten.
    Als das Lied zu Ende war, gingen wir zurück ins Wohnzimmer und schalteten die Anlage ab. Alles war plötzlich ganz still. Von oben schimpfte einer der Nachbarn.
    - Macht das noch mal, brüllte er. Dann hole ich die Bullen.
    - Das will ich sehen, rief mein Mann zurück. Die Bullen stehen auf Dexy’s Midnight Runners, und ich muss das wissen, denn ich bin selber einer.
    Danach war endgültig Ruhe, und die Musik ging nicht wieder an.
    - Na endlich, sagte mein Mann. Da sieht man, was ein bisschen Diplomatie ausrichtet.
    Mir fiel was ein, und ich hielt erschrocken die Hand vor den Mund.
    - O Gott, der Junge. Er hat sich bestimmt zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher