Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama
Autoren: Chris Cleave
Vom Netzwerk:
Ecke. Mach dir keine Gedanken. Ich geh nach Hause und mach mir einen Tee.
    - Und wo ist das?, fragte er.
    - In der Wellington-Siedlung, gleich an der Ecke zur Wellington Row. Aber ich lebe mit meinem Mann zusammen.
    Das ist witzig, sagte Jasper Black. Ich wohne direkt gegenüber. Aus meinem Fenster kann ich auf die Wellington-Siedlung gucken.
    - Ich wette, die Aussicht ist nicht gerade wertsteigernd für eine Immobilie.
    - Aber es ist doch bestimmt ganz gemütlich bei dir, sagte er.
    - Es geht. Zumindest müssen wir nicht auf die Wellington-Siedlung gucken.
    Er lächelte.
    - Komm, ich bring dich hin, sagte er.
    Beim Gehen legte er den Arm um meine Schulter. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das verhindern konnte. Ich dachte, vielleicht will er ja wirklich nur nett sein. Ich war fickrig, weil jeden Moment mein Mann kommen konnte. Was, wenn er uns so sah? Außerdem war ich fickrig, weil er sich jeden Moment in die Luft sprengen konnte. Ach, ich war einfach nur superfickrig, der Grund spielte schon gar keine Rolle mehr.
    Als wir vor der Siedlung standen, war das Auto meines Mannes nirgendwo zu sehen. Außerdem brannte in unserer Wohnung kein Licht. Er war also noch nicht zurück.
    - Er ist noch nicht da.
    Ich weiß auch nicht, warum ich das jetzt sagte. Es war ziemlich dämlich von mir. Ich weiß auch gar nicht, warum ich überhaupt mit diesem Jasper sprach. Seinen Namen hatte er mir da übrigens noch nicht gesagt.
    - Dein Mann ist noch nicht da?, sagte Jasper Black.
    - Nein. Bei uns ist alles dunkel.
    - Warum kommst du dann nicht mit zu mir, auf einen Kaffee?
    - Ich trinke keinen Kaffee.
    - Dann auf einen Tee, sagte er.
    - Danke, nein. Ich muss wirklich nach Hause.
    - Aber wozu?, sagte er. Auf dich wartet doch niemand.
    - Wahrscheinlich nicht.
    Selbst wenn vielleicht mein Sohn auf mich wartete. Aber das konnte ich ihm unmöglich sagen, oder? Ich konnte ihm nicht sagen, ich wäre einfach in den Pub gegangen und hätte meinen Sohn allein in der Wohnung gelassen. Sie hätten mir meinen Sohn wegnehmen können. Die vom Jugendamt, meine ich. Also erst mal Schockstarre meinerseits, was anderes fiel mir nicht ein. Es regnete mittlerweile stärker, und ich war so fickrig, dass ich weder sprechen noch klar denken konnte. Zumindest das Reden übernahm Jasper Black für mich.
    - Komm doch mit, sagte er. In deinem Zustand solltest du nicht allein sein. Eine schöne Tasse Tee wird dir gut tun, mein Wort darauf Tja, Osama, zu der Tasse Tee kam es dann nicht. Wir gingen zu ihm, und es war tatsächlich eins dieser georgianischen Schmuckstücke. Innen alles picobello und ordentlich, er muss wohl eine Putzfrau gehabt haben. Sein Haus lag nur fünfzig Meter die Straße runter auf der anderen Seite, er hatte nicht gelogen. Im Wohnzimmer legte er diese New-Age-Musik auf, so mit Mönchen und ohne Drummer. Er meinte, das wäre schön entspannend. War es aber nicht. Ich schaute die ganze Zeit aus dem Fenster, um zu sehen, ob mein Mann schon zu Hause war.
    - Meine Freundin ist nicht da, sagte Jasper Black.
    - Oh.
    - Ja, sagte er. Sie ist in Paris.
    - Das ist schön. Macht sie da Urlaub?
    - Nein, rein beruflich. Wir sind beide Journalisten. Sie schreibt über die Pariser Modewoche. Sie heißt Petra Sutherland. Vielleicht hast du ja schon Artikel von ihr gelesen.
    - Mmm?
    - Im Sunday „Telegraph, sagte er. Wir arbeiten beide dort. So haben wir uns kennen gelernt.
    - Schön für euch. Hör mal, ich weiß eigentlich gar nicht, was ich hier soll. Es ist wohl besser, wenn ich jetzt gehe.
    - Bitte geh noch nicht, sagte Jasper Black. Warum tust du dir nichts Gutes, und wir versuchen, dich auf andere Gedanken zu bringen?
    - Das verstehst du nicht.
    - Oh, ich glaube schon.
    Er streichelte mich im Nacken, ganz zärtlich und sensibel, ein Gefühl wie von kleinen elektrischen Impulsen, die mir den Rücken hinunterliefen. Dann zog er mich aus, ebenfalls ganz vorsichtig, während ich nur zitternd vor ihm stand. Am Schluss zog auch er seine Sachen aus.
    - So was mache ich gewöhnlich nicht.
    - Ich auch nicht, sagte er. Mein Gott, was hast du für schöne Brüste.
    -Was?
    - Ich sagte, du hast schöne Brüste.
    - Oh. Mein Mann nennt sie nie so.
    Er nahm mich mit ins Schlafzimmer, und wir legten uns aufs Bett, wo wir miteinander schliefen, aber so gefühlvoll, dass alles in mir ins Fließen geriet und ich in einem fort heulte.
    Als ich nach Hause kam, war mein Mann noch immer nicht da. Ich ließ mir ein Bad ein und tauchte ab, bis nur noch meine Nase und meine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher