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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama
Autoren: Chris Cleave
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POLICE auf unserem Astra. Die Buchstaben zeichnen sich nach wie vor unter der Farbe ab, und jeder, der genau genug hinsieht, kann sie lesen. Ach, manchmal bin ich es so was von leid.
    Ich erzähl dir mal von dem einen Abend, Osama. Da wirst du sehen, dass ich nicht immer nur auf meinen Mann gewartet habe. Eines Abends letztes Frühjahr wurde er mal wieder zu einem Einsatz gerufen, und während ich vor der Glotze auf ihn wartete, bekam ich diese Zustände. Im Fernsehen lief so eine Politikerrunde, wo alle immer gleichzeitig reden wollen und keiner den anderen zu Wort kommen lässt. Wie auf einem sinkenden Schiff, wo sich alle um die letzten Schwimmwesten prügeln. Irgendwann hielt ich das Gelaber nicht mehr aus und ging in die Küche, um aufzuräumen und sauber zu machen. Das tue ich immer, wenn ich so fickrig werde. Bloß passiert mir das oft, und in so einer kleinen Wohnung ist irgendwann auch die letzte Ecke picobello sauber. Ganz hippelig trat ich auf der Stelle, sah mich in der Küche um und wurde schier wahnsinnig. Der Ofen blitzte, die Friteuse war blank, und jede einzelne Dose im Regal stand mit dem Etikett nach vorn und in alphabetischer Reihenfolge. Apfelscheiben, Baked Beans, Creme Vanille und so weiter, alles war so scheißperfekt, dass mir beim besten Willen nichts zu tun blieb, als an den Nägeln zu kauen. Ich kann an den Nägeln kauen, bis sie bluten, aber zum Glück hatte ich in diesem Moment den obergenialen Einfall. Die Sachen in der Tiefkühltruhe hatte ich doch noch nicht alphabetisch geordnet. Tja, Osama, manchmal habe ich richtig gute Ideen. Also machte ich die Tiefkühltruhe auf und räumte erst mal alles nach draußen auf den Boden, ehe ich es von oben nach unten, aber eben geordnet, wieder einräumte. Alphabites-Kroketten, Burger, Eclairs, Fischstäbchen, Hähnchenschenkel, Pommes. Das beruhigte mich so, dass ich eine Zeit lang vergaß, mein Mann könnte im selben Moment das falsche Kabel durchknipsen und die selbst gebastelte Nagelbombe reißt ihn in daumengroße Stücke. Nur fiel es mir leider sofort wieder ein, als ich damit fertig war und alle Packungen ordentlich an ihrem Platz lagen. In dem Moment, Osama, tat ich, was jeder in meiner Situation getan hätte: Ich ging runter in den Pub.
    Obwohl, das stimmt nicht ganz. Erst machte ich noch mal die Tiefkühltruhe auf, sortierte auch die Alphabites-Kroketten nach Alphabet, tat sie wieder rein, und erst dann ging ich runter in den Pub. Nicht mal mit einer speziellen Absicht, ich wollte nur eine Weile aus der Wohnung raus und die Tür hinter mir zumachen.
    Okay, ich weiß, man soll Kinder nicht allein in der Wohnung lassen, aber das ist Theorie. Ich frage mich, was die Leute täten, die so was sagen, wenn ihr Mann gerade dabei ist, eine Bombe zu entschärfen, und die Wäsche gemacht ist und selbst die Alphabites sortiert sind. Wahrscheinlich wären sie genauso in der Kneipe gelandet. Nur mal eben ein paar freundliche Gesichter sehen und was trinken, um zu relaxen. Also ging ich ins Nelson’s Head, bestellte mir einen Gin Tonic, setzte mich an den Ecktisch neben dem TV-Beamer und guckte ganz unschuldig Sky-TV. Sie zeigten die besten Tore der Saison, was mir recht war. Osama, ich weiß, du siehst lieber, wie Leuten der Kopf abgehackt wird, aber das ist eben der Unterschied zwischen dir und mir. Wir haben einfach nicht denselben Geschmack, was Fernsehen angeht, und ich denke mal, wenn du abends zum Fernsehgucken bei uns wärst, gäb’s ewig Streit um die Fernbedienung. Jedenfalls, was ich damit sagen will: Ich saß einfach nur so da, kümmerte mich um nichts und niemanden, und die alten Knacker an der Bar redeten über Fußball und ließen mich in Ruhe.
    Ich bin vielleicht schwach, Osama, aber eine Schlampe bin ich nicht. Ich habe Jasper Black nicht gebeten, sich an meinen Tisch zu setzen, wo ich doch nur die schönsten Tore in Zeitlupe sehen wollte. Ich habe Jasper Black nicht angequatscht, er hat mich angequatscht, das ist ein Unterschied.
    Man sah übrigens gleich, dass er hier im East End nichts zu suchen hatte. Er war einer von den Typen, die das toll fanden: hervorragende City-Anbindung, in attraktiver Nähe zum berühmten Blumenmarkt auf der Columbia Road. Bei der Sun heißen die immer die ARMANI-FATZKES. Gewöhnlich wohnen sie nicht länger als 3 Jahre in Bethnal Green oder Shoreditch, ehe sie weiterziehen in ein vornehmeres Vorstadtviertel, wo sie unter ihresgleichen sind. Ich habe im Fernsehen mal eine Sendung über Lachs Wanderung
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