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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama
Autoren: Chris Cleave
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    L IEBER O SAMA , sie wollen dich tot oder lebendig, damit der Terror endlich aufhört. Obwohl, ich weiß nicht. Mit dem Rock ‘n Roll war ja auch nicht Schluss, als Elvis auf dem Lokus starb, es wurde bloß schlimmer. Irgendwann hatten wir dann Sonny & Cher und Dexy’s Midnight Runners. Aber dazu später. Was ich sagen will: Es ist viel leichter, mit so einem Scheiß anzufangen, als wieder damit aufzuhören. Ich nehme an, das weißt du selbst.
    25 Millionen Dollar haben sie auf deinen Kopf ausgesetzt, aber lass dir meinetwegen keine grauen Haare wachsen. Ich habe keine sachdienlichen Hinweise, die zu deiner Ergreifung führen könnten. Ich habe keine, Punkt, aus, Schluss. In deinen Augen bin ich zwar nur eine Ungläubige – mein Mann nannte das übrigens Unterschicht, was ein Unterschied ist –, aber nehmen wir mal an, ich hätte dich tatsächlich hier irgendwo gesehen, vielleicht in einem Nissan Primera auf dem Weg nach Shoreditch, und ich hätte dich tatsächlich bei den Bullen verpfiffen. Na. Ich wüsste gar nicht, was ich mit den 25 Mios anfangen sollte. Ich habe nämlich keinen mehr, für den ich sie ausgeben könnte, seit du meinen Mann und meinen Sohn in die Luft gejagt hast.
    Klar, worum es mir geht, oder? Ich will keine 25 Mios, Osama, ich will nur eins: dass du mit diesem Scheiß aufhörst. STEHE ICH DAMIT ETWA ALLEIN? Vielleicht. Zumindest will ich die letzte Mutter sein, die dir einen solchen Brief schreiben muss. Die letzte, die dir von ihrem toten Jungen schreibt.
    Naja, Schreiben ist eigentlich nicht so mein Ding. Das letzte Mal, dass ich was geschrieben habe, war auf diesem Fragebogen für das Sozialamt, wo sie den NAMEN DES EHEGATTEN BZW. LEBENSPARTNERS wissen wollten. Ich tue zwar mein Bestes, aber ein bisschen Geduld musst du schon haben, ich bin eben keine große Schriftstellerin. Und schreiben tue ich dir von der großen Leere, mit der ich plötzlich zurechtkommen musste, als du mir meinen Jungen genommen hast. Schreiben tue ich dir, damit du in mein leeres Leben schauen und erfahren kannst, was so ein Junge wirklich ist, allein von dem tiefen Loch her, das er hinterlässt. Ich will, dass du dieses Loch in deinem eigenen Herzen spürst, dass du es anfasst, dich an seinen scharfen Kanten schneidest. Ich bin eine Mutter, Osama, deshalb will ich, dass du meinen Sohn liebst. Das ist doch nur normal, oder?
    Ich weiß, dass du dazu fähig bist, Osama. Die Sun nennt dich zwar die FRATZE DES BÖSEN, aber ich glaube nicht so recht an das Böse, weil es zum Bösesein immer zwei braucht. Ich weiß, dass du eine Stinkwut auf die Führer des westlichen Imperialismus hast. Aber auch zu denen kommen wir noch.
    Was dich betrifft, so glaube ich, dass du sofort mit der Bomberei aufhören würdest, wenn du meinen Sohn auch nur einen Moment lang mit dem Herzen sehen könntest. Ich weiß, du würdest sofort aufhören, Löcher in Form kleiner Jungen in die Welt zu reißen. Du wärst dann nämlich viel zu traurig dazu. Und deshalb, Osama, werde ich mir hiermit viel Mühe geben. Auch wenn dir natürlich nicht entgehen wird, dass ich es nicht so mit Worten habe. Ich hoffe trotzdem, der Brief kommt an. Ich hoffe, er findet dich, ehe dich die Amerikaner finden, sonst hätte ich mir das Ganze ja sparen können, nicht?
    Osama, wenn ich dir von meinem Jungen schreibe, dann fange ich am besten damit an, wo er gewohnt hat und ich noch immer wohne. Nämlich in London, England. Ich stimme dir übrigens zu, dass das in vieler Hinsicht ein ziemlich schlimmer Ort ist, aber ich bin nun mal da geboren, also was soll’s. Von außen sieht London zwar stinkreich aus, aber die meisten von uns hier sind sehr arm. Ich habe dich auf dem Video gesehen, wo du sagst, der Westen ist dekadent. Vielleicht hast du ja das West End gemeint? Wir sind nämlich nicht alle so. London ist ein grinsender Lügner – mit schönen Zähnen vorn, aber die hinten stinken nach Fäulnis und Verrottung.
    Die Familie, aus der ich komme, war nie richtig arm, aber das Geld war ständig knapp. Auch das übrigens ein Unterschied. Trotzdem, wir waren keine Asis, sondern ordentliche Leute, das muss ich hier mal sagen. Wir gehörten weder zu den schönen Zähnen vorn noch zu den verrottenden dahinter. Von unserer Sorte gibt es Millionen. Die aus der Mittelschicht haben ganze Webseiten über uns gemacht. Wenn’s dich interessiert, leg doch mal kurz deine Kalaschnikoff beiseite und gib bei Google Vollprolet, Restefick, Schweinefee oder Pack-Alarm
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