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Tokio Killer - 02 - Die Rache

Tokio Killer - 02 - Die Rache

Titel: Tokio Killer - 02 - Die Rache
Autoren: Barry Eisler
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    H ATTE MAN die zugrunde liegende Ironie der Situation erst einmal verkraftet, wurde einem klar, dass einiges dafür sprach, jemanden in seinem eigenen Fitnessclub umzubringen.
    Die Zielperson war ein Yakuza, ein fanatischer Gewichtheber namens Ishihara, der jeden Tag in dem Club in Roppongi trainierte, welcher ihm selbst gehörte. Tatsu hatte mir gesagt, dass es nach einer natürlichen Todesursache aussehen müsse, wie immer. Ich war froh, in einer Umgebung tätig werden zu können, in der es beileibe nicht undenkbar schien, dass jemand vor Überanstrengung ganz plötzlich an einem tödlichen Aneurysma verstarb oder einen unglücklichen Sturz auf eine stählerne Hantel erlitt oder dass ein anderes tragisches Missgeschick im Umgang mit den komplizierten Geräten zu seinem vorzeitigen Ableben führte.
    Der Fitnessclub war auch deshalb praktisch, weil ich mir keine Gedanken wegen irgendwelcher Fingerabdrücke machen musste. In Japan, wo Kostümierungen förmlich ein Nationalvergnügen sind, würde kein Gewichtheber seine Hanteln stemmen, ohne dabei die üblichen schicken, wattierten Handschuhe zu tragen. Es war ein für Tokio ungewöhnlich zeitiger, warmer Frühling, der, so sagte man, eine schöne Kirschblüte verhieß. Wo sonst, wenn nicht in einem Fitnessclub, wäre ein Mann mit Handschuhen unbemerkt geblieben?
    In meiner Branche war das Unbemerktbleiben die halbe Miete. Wenn man nicht in die Umgebung passte, fiel man der Zielperson auf, und dann kam man nicht mehr nah genug an sie ran, um seine Sache richtig zu machen. Oder man fiel einem Gegenüberwachungsteam auf, und dann – herzlichen Glückwunsch! – war man auf einmal selbst die Zielperson.
    Für mich war Anonymität in Japan zu einer Zeit, als meine Herkunft amtlich bekannt war und in der Schule Anlass zu Hänseleien bot, nicht leicht. Heute jedoch würde niemand in meinem Gesicht den Westler erkennen, es sei denn, er würde ausdrücklich darauf hingewiesen. Meiner amerikanischen Mutter wäre es nur recht. Sie wollte immer, dass ich mich in Japan eingliedere, und sie war froh, dass die japanischen Gesichtszüge meines Vaters bei jenem anfänglichen genetischen Kampf um Vorherrschaft den Sieg davongetragen hatten. Und die kleine Gesichtsoperation, der ich mich bei meiner Rückkehr nach Japan im Anschluss an mein Intermezzo bei den US Special Forces in Vietnam unterzog, führte zu Ende, was Zufall und Laune der Natur bereits begonnen hatten.
    Die Geschichte, die mein Auftreten im Fitnessclub dem Yakuza vermitteln würde, war schlicht und einfach. Er hatte mich erst seit kurzem dort gesehen, aber ich war offensichtlich in guter körperlicher Verfassung. Somit gehörte ich nicht zu den Männern mittleren Alters, die mit dem Gewichtheben anfingen, weil sie sich wieder den Waschbrettbauch erhofften, den sie mal als Student gehabt hatten. Viel wahrscheinlicher war, dass mich meine Firma nach Tokio versetzt hatte, und wenn sie mir tatsächlich eine Wohnung in der Nähe von Roppongi spendierte, vielleicht in Minami-Aoyama oder Azabu, war ich bestimmt einigermaßen wichtig und wurde gut bezahlt. Die Tatsache, dass ich in meinem Alter überhaupt noch Bodybuilding machte, ließ darauf schließen, dass ich Affären mit jüngeren Frauen hatte, für die es sicherlich angenehmer war, mit einem zwar älteren, aber jugendlich wirkenden Mann zu schlafen. Im Grunde waren derartige Arrangements ja kaum mehr als ein Tauschgeschäft: Sex und die Illusion von Unsterblichkeit gegen Handtaschen von Ferragamo und die sonst üblichen Devisen. Für all das würde der Yakuza Verständnis aufbringen und sogar Respekt.
    In Wahrheit hatten meine in letzter Zeit regelmäßigen Besuche im Fitnessclub des Yakuza natürlich nichts damit zu tun, dass meine Firma mich nach Tokio versetzt hatte – es war eher eine Geschäftsreise. Sobald der Job erledigt war, würde ich wieder abreisen. Ich hatte schon mal in Tokio gelebt und mir in dieser Zeit einige Feinde eingehandelt, die möglicherweise, auch nachdem ich ein Jahr fort gewesen war, noch immer nach mir suchten. Daher konnte ich mir vernünftigerweise nur einen kurzen Aufenthalt erlauben.
    Tatsu hatte mir vor einem Monat, als er mich ausfindig gemacht und zu dem Job überredet hatte, eine Akte über den Yakuza gegeben. Nach dem, was ich dort las, hätte ich die Zielperson lediglich für einen Mafia-Gorilla gehalten, aber wenn Tatsu ihn eliminieren lassen wollte, musste der Mann wichtiger sein. Ich fragte nicht nach. Mich interessierten
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