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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama
Autoren: Chris Cleave
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HELD, schön und gut, aber manchmal konnten ihn eben alle AM ARSCH LECKEN, und wer wollte ihm das verübeln? Sobald er eingeschlafen war, ging ich ins Kinderzimmer und schaute nach unserem Jungen.
    Wie gesagt, unser Junge hatte sein eigenes Zimmer, aber so was von schön, wir waren richtig stolz darauf. Mein Mann hat das Kinderbett selbst gebaut, in Form des Kippers aus Bob der Baumeister, und ich habe die Vorhänge genäht. Die Wände gestrichen haben wir gemeinsam. Es roch nach Junge, nachts im Zimmer meines Jungen. Junge als Geruch ist ein guter Geruch, irgendwo zwischen Engel und Tiger. Mein Junge schlief auf der Seite und nuckelte an Mr. Rabbits Pfoten. Auch diesen Hasen habe ich selbst genäht, lila mit grünen Ohren. Egal, wohin mein Junge ging, Mr. Rabbit war immer dabei, oder es gab Theater. Mein Junge lag so friedlich da, es war schön, ihn anzusehen mit seinen rötlichen Haaren vom Sonnenaufgang hinter den Vorhängen. Die Vorhänge machten das Licht ganz rosa. Friedlich schliefen er und Mr. Rabbit darin. Manchmal war mein Junge so still, dass ich nachsehen musste, ob er überhaupt noch atmete. Ich ging ganz nah an ihn heran und blies ihm über die Wange. Dann verzog er ärgerlich das Gesicht und schnaubte, bis er sich wieder beruhigte und ganz still wurde. Ich lächelte, ging auf Zehenspitzen zur Tür und machte sie leise hinter mir zu.
    Mr. Rabbit hat übrigens überlebt. Ich habe ihn noch. Allerdings sind seine Ohren schwarz von Blut, und eine Pfote fehlt.
    Okay, Osama, jetzt, wo ich dir von meinem Sohn erzählt habe, sollst du auch ein bisschen mehr über seine Mum erfahren, sonst glaubst du noch, ich wäre so eine Art Heilige, die für ihren Sohn Stofftiere näht und ansonsten den ganzen Tag nur auf ihren Mann wartet. Ich wollte, ich wäre eine Heilige, denn die Heilige, die mein Sohn verdient hätte, hat er nie gekriegt. Ich war alles andere als eine perfekte Frau und Mutter, nicht mal eine durchschnittliche, leider. So was wie mich hätten sie bei der Sun wahrscheinlich als HEMMUNGSLOSES HOBBYLUDER bezeichnet.
    Gott sei Dank sind weder mein Mann noch mein Sohn je dahinter gekommen. Und jetzt, wo sie tot sind, ist mir egal, wer alles davon erfährt. Ihnen tut es nicht mehr weh. Denn ich habe meinen Sohn geliebt, genauso wie ich meinen Mann geliebt habe. Aber manchmal habe ich mich auch mit anderen Männern eingelassen. Oder eher sie sich mit mir, und ich hatte nichts dagegen, und so führt eben eins zum anderen. Osama, du weißt doch, wie Männer sind, immerhin hast du Tausende von ihnen ausgebildet. Es sind SEXHUNGRIGE RATTEN.
    Aber Sex hat für mich eigentlich nichts Schönes, er hat eher mit meinen Angstzuständen zu tun. Die habe ich, seit ich ein junges Mädchen war. Jede Kleinigkeit kann sie auslösen. Dein Angriff auf das World Trade Center genauso wie zwei Kerle, die sich über den Fahrpreis fürs Taxi streiten. Alle Gewalt auf der Erde hängt irgendwie zusammen, wie die sieben Weltmeere. Wenn ich eine Frau sehe, die auf dem Parkplatz vom Asda-Markt ihr Kind zusammenstaucht, sehe ich zugleich die Bulldozer, die Flüchtlingslager platt machen. Ich sehe kleine afrikanische Jungs mit Narben auf dem Schädel, die an Kopfhörer erinnern. Ich sehe sämtliche Wutausbrüche der Welt, ich sehe DIE HÖLLE AUF ERDEN. Es ist alles ein und dasselbe – und es macht mich fickrig.
    Und wenn ich fickrig werde wegen all dieser schrecklichen Sachen, brauche ich dringend was, das weich ist, verboten, anheimelnd und warm, damit ich alles andere für eine Weile vergessen kann. Bis ich 14 wurde, wusste ich nicht, was das war. Ein Freund meiner Mom hat’s mir gezeigt, aber den Namen sage ich nicht, damit er keinen Ärger kriegt. Klar, letztlich war er wohl nichts als ein PERVERSER KINDERSCHÄNDER, aber in meiner Erinnerung hat es sich trotzdem schön angefühlt. Danach fuhr er mit mir im Auto durch die Stadt, und ich war nur am Lächeln und schaute auf die harten Gesichter, die draußen an uns vorbeizogen, und die Penner, aber all das machte mir in dem Moment nichts mehr aus. Ich lächelte nur und dachte an nichts.
    Und seitdem ist das so. Wenn ich Angstzustände kriege, gehe ich mit irgendeinem mit. Fast egal, wer es ist, nur nett muss er sein. Ich bin auch nicht stolz darauf, und ich weiß, das ist jetzt keine Entschuldigung, aber ich habe ehrlich versucht, damit aufzuhören, es geht bloß nicht. Es ist wie ein Tattoo, das heißt, es liegt unter der Haut, und das kriegt man nie ganz weg. Genauso wie das Wort
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