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Lieber Osama

Lieber Osama

Titel: Lieber Osama
Autoren: Chris Cleave
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gutes Händchen. Unsere Astras haben uns nie im Stich gelassen. Du musst wissen, Osama, bei der Polizei verkaufen sie nämlich ihre ausgemusterten Karren an privat. Spritzen sie um und verkaufen sie. Trotzdem, wenn das Licht richtig stand, sah man noch das alte POLICE unter der neuen Farbschicht. Ich denke mal, nichts kann auf Dauer seine wahre Natur verleugnen.
    Jedenfalls, wir sitzen vor der Glotze, gucken Top Gear, und auf einmal klingelt das Telefon. Mein Mann stellt den Teller ab und geht mit dem Telefon ins Nebenzimmer. Und obwohl er mir nicht sagen darf, was gerade wieder passiert ist, weiß ich sofort, wenn es was Ernstes ist. Die beim Sprengmittelräumdienst wissen ziemlich genau, was eine richtige Bombe ist und was wahrscheinlich bloß falscher Alarm. Wenn es wahrscheinlich bloß falscher Alarm war, setzte sich mein Mann wieder aufs Sofa und aß zu Ende, bevor er losging. Dazu brauchte er nur 30 Sekunden, aber wenn es wirklich ernst war, tat er das nie. Dann nahm er einfach nur seine Jacke und ging.
    Wenn es ernst war, blieb ich auf und wartete auf ihn. Unser Sohn schlief dann immer schon, sodass ich nur die Glotze als Ablenkung hatte. Nicht, dass mich das Fernsehen jemals wirklich ablenken konnte. Nach Top Gear kam Holby City, diese Krankenhausserie, und dann die Spätnachrichten. Holby City machte mich nervös wegen der vielen tödlichen Unfälle und brennenden Friteusen, und in den Nachrichten ging es auch nur um Geld und Tod, sodass ich mich zwischendurch immer wieder fragte, wozu ich eigentlich die blöden Rundfunkgebühren zahlte, wenn mir das Fernsehen doch nichts brachte. Aber die Glotze musste eben anbleiben für den Fall, dass irgendwas passierte und sie eine Blitzmeldung brachten.
    So sitze ich die halbe Nacht vor dem Fernseher und hoffe, es bleibt langweilig. Mit einem Mann beim Sprengmittelräumdienst wünschst du dir, dass alles so bleibt, wie es ist. Dass nie was passiert. Glaub mir, dann willst du eine Welt wie in der Richard-&-Judy-Show. Nachts guckte ich immer BBC, nie die Privaten, weil mich die viele Werbung nervt. Frauen mit tollen Haaren, die dir erzählen, wie dieses oder jenes Shampoo Spliss verhindert. Na. Das kommt einem schon ein bisschen komisch vor, wenn man bloß wissen will, ob sein Mann vielleicht eben von einer Bombe zerrissen worden ist. Genauer: Man fühlt sich richtig mies.
    Heutzutage findet man in London ja jede Menge Bomben. Vor allem wenn einer eine Botschaft an die Nation hat, aber keine Chance, in die Richard-&-Judy-Show zu kommen. Da ist es schon einfacher, ein paar alte Nägel und Schrauben in eine Nike-Tasche voll Düngemittel zu packen. Viele einsame Wichser in dieser Stadt basteln heutzutage an irgendwelchen Bomben, Osama, ich hoffe, du bist stolz auf dich. 4 bis 5 pro Woche können die Cops entschärfen, ein bis 2 gehen hoch und reißen Löcher in Leute, und oft erwischt es dabei die Beamten am Einsatzort. Aber das zeigen sie in den Nachrichten nicht, weil dann die Leute erst recht die kreischende Panik kriegen würden. Ich konnte noch nie sonderlich mit Zahlen umgehen, Osama, aber eines Nachts habe ich mir die Chance ausgerechnet, dass es auch meinen Mann mal trifft, und seitdem hatte ich die kreischende Panik. Die Chance lag bei fast 100 Prozent, sodass sie bei Ladbrokes nie im Leben eine Wette drauf angenommen hätten.
    Manchmal ging schon die Sonne auf, ehe mein Mann zurückkam. In der Glotze lief dann das Frühstücksfernsehen, und eine Frau erzählte was vom Wetter oder vom Dow Jones. Alles ziemlich dämlich, wenn du mich fragst. Ich meine, wo man doch nur aus dem Fenster zu schauen braucht, wenn man wissen will, was das Wetter so treibt. Und was den Dow angeht, da kann man meinetwegen auch aus dem Fenster schauen oder es bleiben lassen, der Punkt ist doch der, es kann sowieso niemand was dran ändern. Was ich damit sagen will: All das war mir scheißegal. Ich wollte nur, dass mein Mann heil nach Hause kommt.
    Und wenn er dann endlich kam, war ich immer so was von erleichtert. Obwohl, er selbst hat in dem Moment nie viel gesagt, weil er so geschafft war. Ich fragte ihn zwar, na, wie war’s? Aber er sah mich immer nur an und sagte: Ich bin noch am Leben, oder? Mein Mann war einer, den die von der Sun einen STILLEN HELDEN nennen. Wobei man sich fragen kann, ob es auch LAUTE HELDEN gibt. Aber das wäre wohl unbritisch. Egal, danach trank mein Mann noch einen Famous Grouse und haute sich hin, ohne sich auch nur auszuziehen oder die Zähne zu putzen. STILLER
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