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Die schoene Luegnerin

Die schoene Luegnerin

Titel: Die schoene Luegnerin
Autoren: Jude Deveraux
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1. Kapitel
    Warbrooke, Maine 1865
    Als Jamie Montgomery durch das große Haus ging, schenkte er seiner Umgebung keine allzu große Beachtung — er war hier aufgewachsen und kannte das Haus sehr gut. Wenn ein anderer die behagliche Einrichtung gesehen hätte, wäre er nicht auf den Gedanken gekommen, daß die Familie, die dieses Haus besaß, äußerst wohlhabend war. Nur ein Kunsthistoriker hätte die Signaturen der berühmten Maler unter den Gemälden, die an den stuckverzierten Wänden hingen, oder die bedeutenden Namen unter den Bronzestatuen bemerkt, und nur ein wirklicher Kenner hätte den Wert der Teppiche einzuschätzen gewußt, die schon viele Generationen Kinder und Hunde erlebt hatten.
    Die Möbel waren nicht wegen ihrer Erlesenheit ausgewählt worden, sondern waren den Bedürfnissen der Familie angepaßt, die schon seit zweihundert Jahren hier wohnte. Einem Antiquitätenhändler wäre jedoch aufgefallen, daß der Sekretär, der an einer Wand stand, tatsächlich aus der Queen-Anne-Periode stammte, daß die zierlichen goldenen Stühle aus dem Rußland Peters des Großen importiert worden waren und daß das Porzellan in der Vitrine altes chinesischen Porzellan war — so alt, daß es sich die Bewohner des jungen Amerika kaum vorstellen konnten.
    Das Haus war voll von Bildern, Möbeln und Stoffen aus der ganzen Welt — Kostbarkeiten, die von Generationen von Montgomerys auf ihren Reisen gesammelt worden waren. Man fand Souvenirs aus allen Winkeln der Erde, angefangen von exotischen Nippes von den kleinsten Inseln bis zu Gemälden der italienischen Meister.
    Jamie ging mit zielsicheren Schritten von einem Raum in dem riesigen Haus zum andern. Zweimal strich er über den kleinen Leinensack, den er vorsichtig auf dem Arm hielt, und lächelte. Schließlich kam er zu einer Tür und betrat — nach einem leisen Klopfen, das sicherlich nicht gehört wurde — das abgedunkelte Schlafzimmer. Wenn auch der Rest des Hauses einen gewissen verblichenen Reichtum zeigte, so ließ dieser Raum die tatsächliche Wohlhabenheit der Montgomerys erahnen.
    Sogar in der Dunkelheit konnte er die seidenen Bettvorhänge, die um das riesige Vierpfostenbett mit den venetianischen Schnitzereien drapiert waren, schimmern sehen. Der üppige Baldachin bestand aus blaßblauer Seide, und die Wände des Zimmers waren mit einem um eine Nuance dunklerem Damast bespannt, der in Italien hergestellt und auf einem Schiff der Montgomerys nach Amerika gebracht worden war.
    Jamie lächelte, als er den blonden Schopf unter den Seidendecken erspähte. Er ging zum Fenster und zog die schweren Samtvorhänge zurück, um das Sonnenlicht in den Raum fluten zu lassen. Als er sich umdrehte, sah er, wie sich der blonde Kopf noch tiefer in die Decken kuschelte.
    Lächelnd ging er zum Bett, um die Schläferin genauer zu betrachten, aber alles, was er sehen konnte, war eine goldene Locke, die sich über das Kissen kringelte — der Rest war unter der Decke verschwunden.
    Er nahm den Leinensack vom Arm, löste die Schnur, mit der er zugebunden war, und brachte ein winziges weißes Fellbündel zum Vorschein. Der kleine Hund, den er den ganzen Weg von China hierhergebracht hatte, war ein Geschenk für seine jüngere Schwester.
    Jamie hob langsam die Bettdecke an und steckte den Hund in das Bett seiner Schwester. Dann zog er einen Sessel heran und beobachtete in freudiger Erwartung, wie der Hund herumzappelte und seine Bettgenossin beschnupperte.
    Zögernd und äußerst widerstrebend kam Carrie zu sich. Sie haßte es, am Morgen ihr warmes Nest zu verlassen, und schob das Aufstehen stets so lange hinaus, wie es ging. Jetzt rührte sie sich, aber ihre Augen waren noch immer geschlossen, als sie die Seidendecke von ihren Schultern schob. Als der Hund ihr über das Gesicht leckte, lächelte sie, und bei der zweiten Liebkosung wurde ihr Lächeln breiter. Sie hob die Lider einen Spalt und sah in das Gesicht des Tiers, dann setzte sie sich mit einem Ruck auf und hob erschrocken eine Hand zum Hals. Sie lehnte sich an das Kopfteil des Bettes, wobei sich ein Flügel eines geschnitzten vergoldeten Engels in ihren Rücken bohrte. Sie sah den Hund an und blinzelte vor Staunen.
    Beim Lachen ihres Bruders drehte sie sich um, aber sogar jetzt noch brauchte sie einen Augenblick, bis sie begriff, was los war. Als ihr endlich bewußt wurde, daß ihr geliebter Bruder von seiner Seereise zurückgekommen war, quietschte sie vor Freude und stürmte, ohne auf die Seidenlaken und
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