Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn

Titel: Lieber Daniel. Briefe an meinen Sohn
Autoren: Sergio Bambaren
Vom Netzwerk:
liebt.
    Aber ich kann Dir versprechen, dass ich Dir niemals im Weg stehen werde, wenn Du anders leben willst, als ich es getan habe. Nie. Egal, was geschieht, ich werde Dich immer genauso lieben.

V
    Die Winter und die Sommer vergingen.
    Zusammen mit meinen tollen Klassenkameraden wuchs ich heran. Fast jeden Tag gingen wir zum Wellenreiten hinaus aufs Meer. Im Winter beeilten wir uns nach Schulschluss, an die kalten, leeren Strände unterhalb der Klippen von Lima zu kommen und noch die letzten Sonnenstrahlen zu erhaschen. Manchmal zog ich allein los; in meinem Neoprenanzug ging ich barfuß die zwei Häuserblocks hinunter bis zum Klippenpfad, der an den Surfstrand Punta Roquitas führt.
    Ohne zu zögern, rannte ich ins Wasser – in einer knappen Stunde würde die Dämmerung hereinbrechen. Noch heute ist das für mich die beste Zeit zum Surfen. Wenn ich mit dem Auto ankomme, machen sich alle anderen schon auf den Rückweg, weil der Wind langsam auffrischt und der Sand abkühlt.
    Ich weiß nicht, ob es von Anfang an so in mir angelegt war oder ob es sich im Lauf meines Lebens ergeben hat, dass ich immer gegen den Strom schwimme, dass ich ankomme, wenn alle anderen gehen, und dass ich es vorziehe, allein zu sein anstatt in der Menge. Das war bei mir schon immer so – selbst wenn ich auf der Suche nach der perfekten Welle in ferne Länder reiste. Natürlich fand ich es im Sommer schön, mit meinen Freunden im warmen Wasser die Wellen zu reiten, den ganzen Tag am Strand zu verbringen und manchmal mit unseren Freundinnen den Tag bei Sonnenuntergang romantisch ausklingen zu lassen, schmusend und kuschelnd, mit Küssen, wie sie nur Jugendliche erleben können. Weiche Wellen, wunderbare Freunde, Verliebtsein – das sind all die Dinge, die die Zeit unseres Lebens, die wir Jugend nennen, in ein Fest verwandeln, in eine Hommage an das Leben.
    Ich war zwar gern mit meinen Freunden zusammen, wir unterhielten uns über die Wellen, rauchten unsere ersten Zigaretten (ich fing mit dem Rauchen erst an, nachdem ich im Kino den Film Der Exorzist gesehen hatte – ein Fehler, den ich bis zum jüngsten Tag bereuen werde!) und machten abends ein Lagerfeuer am Strand. Und trotzdem zog ich es vor, an den einsamen Wintertagen ganz für mich allein auf dem weiten Ozean zu surfen, nur in Gesellschaft der Delfine.
    Tja, frag mich nicht, warum. Ich denke, es ist meine Bestimmung, ein Einzelgänger zu sein. Doch auch wenn es mich manchmal traurig macht, diese magischen Momente, wenn ich durch die salzigen Wogen gleite, mit niemandem teilen zu können, habe ich es nie bereut, diesen Weg in meinem Leben gegangen zu sein. In gewisser Weise habe ich gelernt, mit mir selbst auszukommen, und ich hätte mir nie träumen lassen, wie viele Türen diese Lebenseinstellung mir später öffnen würde.
     
    Mit sechzehn schloss ich die Schule ab. Die Feier fand an einem Sonntagnachmittag statt, ich erinnere mich daran, als sei es erst gestern gewesen.
    Der Rektor des Markham College, wo ich einige meiner schönsten Jahre verbracht hatte, hielt eine außergewöhnliche Rede. Er sagte, die Schule hätte noch nie eine bessere Referenz bekommen als unsere Klasse. Ausnahmslos alle in meiner Klasse waren mindestens ein Mal wegen Undiszipliniertheit zu ihm zitiert worden, dennoch hatten wir alle den Abschluss geschafft. Wir waren wahrlich keine Engel, und heute bereue ich auch viele Schülerstreiche. Aber wir waren eben Kinder, und wir machten Unsinn wie alle in diesem Alter. Im Grunde jedoch haben wir es nie böse gemeint.
    Damals hatten sich meine Eltern bereits getrennt. Anfangs fürchtete ich, ich könnte sehr darunter leiden. Aber letztlich war es mir lieber, jeder der beiden konnte glücklich und zufrieden sein eigenes Leben leben, als dass sie sich die ganze Zeit stritten. Mein Bruder und ich lasteten es natürlich zunächst meinem Vater an, dass er uns verlassen hatte. Doch mit den Jahren und durch meine eigenen Erfahrungen wurde mir klar, dass zu einer Partnerschaft immer zwei gehören und dass man – egal, wie viel man zu wissen glaubt – nie sagen kann, wer schuld daran ist und wer nicht, wenn etwas schiefläuft. Wir alle machen Fehler, das gehört zum Leben, doch wenn eine Beziehung zwischen zwei Menschen nicht mehr funktioniert, kennen nur diese beiden den wahren Grund. Auch wenn man selbst solche Auseinandersetzungen miterlebt, kann man nie mit letzter Sicherheit sagen, wer das Falsche und wer das Richtige getan hat. Am Ende haben irgendwie beide
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher