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Licht vom anderen Ufer

Licht vom anderen Ufer

Titel: Licht vom anderen Ufer
Autoren: Hans Ernst
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also nicht mehr wert als höchstens dreihundert Schachteln Zigaretten.«
    »Leider, Anna. Gegen Ami-Zigaretten kann man heut alles haben.«
    »Ich dank dir, Ruderer, für deine Offenheit.«
    »Geh, Anna, du kannst mich doch um alles fragen, und wenn ich einen Rat weiß, helf ich dir gern. Und ich will es mir auch genau überlegen, ob du dein Erbteil nicht doch irgendwo sicher anlegen könntest.«
    Genau um diese Zeit kam Olivers zweiter Brief in den Goldenen Grund. Oliver konnte sich nicht erklären, warum Anna ihm nicht antwortete.
    »Wenn es so sein sollte«, schrieb er unter anderem, »dass du dich anderweitig gebunden und mich vergessen hast, was ich aber nicht annehmen kann, so bitte ich dich, teile es mir mit. Im Übrigen erzählt man hier, dass bei euch in Deutschland amerikanische Zigaretten die Währung seien, für die man alles bekommen kann. Ich werde dir deshalb zwanzig Stangen schicken und stelle es dir anheim, ob du nicht auch jener Burgl, die uns so treulich beistand, ein paar davon abtreten willst…«
    Die Zigaretten kamen und Matthias Rauscher baute damit seinen Stall um, und die Cilli handelte zudem noch zehn Ballen Stoff ein, der für fünfzig Anzüge gereicht hätte.
    Anna erfuhr nie etwas davon. Aber sie erfuhr ein paar Monate später bei der Währungsumstellung, was ihr Erbteil noch wert war, nämlich genau noch dreitausend Mark.
    Das Jahr rauschte vorüber wie ein Flügelschlag. Anna hatte mit den Monaten den Schock überwunden und sich damit abgefunden, dass sie nicht mehr als eine Kleinhäuslertochter in dieser neuen Währung als Mitgift bekam.
    Aber der Zorn gegen den Bruder blieb, der sie so billig aus der Heimat fortgeschoben hatte in ein Leben als Magd. Hier blieb sie unversöhnlich, und wie ihr Leben sich auch noch gestalten mochte, es gab keinen Weg mehr in den Goldenen Grund zurück.
    Anna kleidete sich neu ein, sonst aber legte sie Mark um Mark auf die Raiffeisenkasse, zu der ihr der Ruderer geraten hatte, weil er dort im Vorstand war.
    So kam der Winter wieder heran. Eines Tages nun, als Anna auf dem unteren Anger Mist ausgebreitet hatte und bei Einbruch der Dämmerung auf den Hof zuging, sah sie vor der Haustür ein neues Auto stehen.
    Drinnen in der Stube saßen der Ruderer und der Besitzer dieses Wagens, der dem Ruderer Holz abkaufen wollte, das noch nicht geschlagen war.
    Der Ruderer überlegte noch. Dann sah er ihn an. »Also gut, fünfzig Kubikmeter bis zum Februar. Den Preis können wir aber jetzt noch nicht festlegen, weil ich nicht weiß, wie bis dahin das Holz im Preis steht.«
    Das war zwar nicht ganz im Sinne des Händlers, der
    genau wusste, dass bis dann der Holzpreis gestiegen sein würde. Aber schließlich konnte er dem Ruderer seinen Willen nicht aufzwingen.
    Auf einmal stand er auf und trat näher ans Fenster. Der Schreck war seinem Gesicht anzusehen. »Wer ist denn das?«
    Der Ruderer trat neben ihn und stieß dabei an den künstlichen Arm des anderen. »Die Anna. Kennst du sie vielleicht?«
    »Kann schon sein«, antwortete der Holzhändler, drehte sich um und ging hinaus.
    Anna hielt erschrocken ihren Schritt inne und ihre Züge waren einen Augenblick lang wie versteint. Dann aber löste sich der Krampf und es kam ein winziger, froher Schimmer in ihre Augen.
    »Hier bist du also?«, sagte Thomas Staffner.
    »Ja, hier bin ich, Thomas«, antwortete Anna, immer noch der Meinung, dass er irgendwo erfahren hatte, wo sie sich aufhielt, und sie nun gesucht habe. Gleich darauf aber erfuhr sie, dass dies nicht der Fall war.
    »So ein Zufall«, sagte Thomas. »Ein paarmal bin ich schon in der Nähe gewesen und hab keine Ahnung gehabt, dass du hier oben sein könntest.«
    Anna stemmte die Gabel in den Boden, verschränkte die Hände über dem Stiel und legte das Kinn darauf.
    »Und wenn du es gewusst hättest, Thomas?«
    »War ich natürlich schon viel früher gekommen.«
    »Und warum? Als ich noch daheim war, hast du ein ganzes Jahr lang einen weiten Bogen um mich gemacht und nicht mehr mit mir gesprochen.«
    »Ja, das war dumm von mir«, antwortete er und sah sie offen an. Er ist nicht mehr der gleiche unbeholfene Mensch, stellte Anna fest. Wo er früher unbeholfen war, strahlte er jetzt ruhige Zuversicht aus.
    »So dumm war das gar nicht«, sagte Anna nach einer Weile. »Und ich hab dich ja auch verstanden, Thomas. Ich hätte an deiner Stelle nicht anders gehandelt.«
    »Das sagst jetzt«, meinte er, »weil dadurch mein Verhalten weniger dumm ausschauen soll.«
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